This is à reproduction of a library book that was digitized by Google as part of an ongoing effort to preserve the information in books and make it universally accessible.
Google books
https://books.google.com
Über dieses Buch
Dies ist ein digitales Exemplar eines Buches, das seit Generationen in den Regalen der Bibliotheken aufbewahrt wurde, bevor es von Google im Rahmen eines Projekts, mit dem die Bücher dieser Welt online verfügbar gemacht werden sollen, sorgfältig gescannt wurde.
Das Buch hat das Urheberrecht überdauert und kann nun Öffentlich zugänglich gemacht werden. Ein öffentlich zugängliches Buch ist ein Buch, das niemals Urheberrechten unterlag oder bei dem die Schutzfrist des Urheberrechts abgelaufen ist. Ob ein Buch öffentlich zugänglich ist, kann von Land zu Land unterschiedlich sein. Öffentlich zugängliche Bücher sind unser Tor zur Vergangenheit und stellen ein geschichtliches, kulturelles und wissenschaftliches Vermögen dar, das häufig nur schwierig zu entdecken ist.
Gebrauchsspuren, Anmerkungen und andere Randbemerkungen, die im Originalband enthalten sind, finden sich auch in dieser Datei - eine Erin- nerung an die lange Reise, die das Buch vom Verleger zu einer Bibliothek und weiter zu Ihnen hinter sich gebracht hat.
Nutzungsrichtlinien
Google ist stolz, mit Bibliotheken in partnerschaftlicher Zusammenarbeit öffentlich zugängliches Material zu digitalisieren und einer breiten Masse zugänglich zu machen. Öffentlich zugängliche Bücher gehören der Öffentlichkeit, und wir sind nur ihre Hüter. Nichtsdestotrotz ist diese Arbeit kostspielig. Um diese Ressource weiterhin zur Verfügung stellen zu können, haben wir Schritte unternommen, um den Missbrauch durch kommerzielle Parteien zu verhindern. Dazu gehören technische Einschränkungen für automatisierte Abfragen.
Wir bitten Sie um Einhaltung folgender Richtlinien:
+ Nutzung der Dateien zu nichtkommerziellen Zwecken Wir haben Google Buchsuche für Endanwender konzipiert und möchten, dass Sie diese Dateien nur für persönliche, nichtkommerzielle Zwecke verwenden.
+ Keine automatisierten Abfragen Senden Sie keine automatisierten Abfragen irgendwelcher Art an das Google-System. Wenn Sie Recherchen über maschinelle Übersetzung, optische Zeichenerkennung oder andere Bereiche durchführen, in denen der Zugang zu Text in großen Mengen nützlich ist, wenden Sie sich bitte an uns. Wir fördern die Nutzung des öffentlich zugänglichen Materials für diese Zwecke und können Ihnen unter Umständen helfen.
+ Beibehaltung von Google-Markenelementen Das "Wasserzeichen" von Google, das Sie in jeder Datei finden, ist wichtig zur Information über dieses Projekt und hilft den Anwendern weiteres Material über Google Buchsuche zu finden. Bitte entfernen Sie das Wasserzeichen nicht.
+ Bewegen Sie sich innerhalb der Legalität Unabhängig von Ihrem Verwendungszweck müssen Sie sich Ihrer Verantwortung bewusst sein, sicherzustellen, dass Ihre Nutzung legal ist. Gehen Sie nicht davon aus, dass ein Buch, das nach unserem Dafürhalten für Nutzer in den USA öffentlich zugänglich ist, auch für Nutzer in anderen Ländern öffentlich zugänglich ist. Ob ein Buch noch dem Urheberrecht unterliegt, ist von Land zu Land verschieden. Wir können keine Beratung leisten, ob eine bestimmte Nutzung eines bestimmten Buches gesetzlich zulässig ist. Gehen Sie nicht davon aus, dass das Erscheinen eines Buchs in Google Buchsuche bedeutet, dass es in jeder Form und überall auf der Welt verwendet werden kann. Eine Urheberrechtsverletzung kann schwerwiegende Folgen haben.
Über Google Buchsuche
Das Ziel von Google besteht darin, die weltweiten Informationen zu organisieren und allgemein nutzbar und zugänglich zu machen. Google Buchsuche hilft Lesern dabei, die Bücher dieser Welt zu entdecken, und unterstützt Autoren und Verleger dabei, neue Zielgruppen zu erreichen.
Den gesamten Buchtext können Sie im Internet unter|http: //books.google.comldurchsuchen.
4
1
9 20 -
RR ER}
RES
a‘
4
5 N N * \
1 4
— r co < | u
135 u —
ac Se I pri 7 — EI CE — . — < — « Pr a RR = - 7 AT ur : a „ S e &
— < RE >> — -
. T0 ten 3 Ber — SEE ME € 2 BA .. a en ek ge RES ET ET EEK
33 — 8 . N e s
> — — — —
. . e F
2 n 2
3
CART
. 1
..
GUD
.
Maubchuhuche iä & demand u a0)
nn A a
u
8 F T < > > 5 > — REST “an SET « x E 0 « . 10 3 Ra EL > .“ LET < — Te U xx . r — « Cox SCUERE«: Te - UTC ER * r NULCIcC Kur Re ’ * — ER as . 8 u N * r EUCH <
2 « er > = 8
ee “cc. > > ce nt N
— “ 7 “ur > *
rc RE — F N
r 4 Erw r — 3 < x
. — — UCRi<: ö n —— 1 0 14 2 4 —
Lee . — as .
*
r * z EL EEK X; 4
1 wi: x eee . e
AA
2 8
1 N 5 Se 2 pP 2 5 l K K 3 << rare ec 8 3
— Sr n 3 — n * RT KL; — 5 zo: — — cı S ie Bd
ü e
Aa
Digitized by Google
Digitized by Google
Bo 8 8 4 Pe 85 7 2 . 1 3 a ö 8 | | 9 2 * Pe Die Wiederbelebung | :
des
oder | |
© ſte Jahrhundert des Humanismus.
Prof. honor. an der Univerſität zu München. 5 1 SEEN
A ui 9 . 5 8 RE 2 ar x 5 N * * . 4 . Y 7 b - e Ben. 5 Druck und Verlag von Georg Reimer. 15 9 ie, * N ’ 8 V9. 1 a 7 N ‚ . N N nr
8 7 . * ** * Be “re k f 4 tn x 15 P N * er 9 7 47 2 * * 1
rr . . ü — ] Ü
Die Wiederbelebung
des |
elaſſiſchen Alterthums
oder
das erſte Jahrhundert des Humanismus.
Von
Dr. Georg Voigt,
Prof. honor. an der Univerſität zu München.
a m Berlin. Druck und Verlag von Georg Reimer. 1859.
Alle Geſtalten find ähnlich und keine gleichet der andern, Und ſo deutet das Chor auf ein geheimes Geſetz. | .. Bdthe’s Metamorphoſe der Pflanzen.
— a Ar u er =! —. 17 „ 2 r IN K* Wr re „+, - ni 5 2 J EI 5 ö — \ 3 5 1 0 Alta) . N 5 8 ner * 1 — 7 8 3 1 25 2 N 2 5 ) e u TIER af 8 — a u a
Vorwort.
Die Entveckungsfahrten und der Humanismus, zwei mäch⸗ tige Bewegungen im Ausgange der mittelalterliche Zeit, find analogen Weſens und keine ſteht an Bedeutung der andern nach. Beiden liegt die Tendenz der Ausdehnung, der Erweiterung zum Grunde. Dort wird ein neuer Raum geſucht und gefunden, auf welchem die geſchichtliche Menſchheit ihre geſellſchaftlichen und ſtaatlichen Urformen wiederholt, hier wird die vergeffene Tiefe einer Vorzeit heraufbeſchworen und dieſe in ihren edelſten Schöpfungen noch einmal vurchlebt. Beide Richtungen haben ihren genialen Propheten und Helden, beide haben ihre Abenteurer, beide ihren begeiſterten Schwung und ihren moraliſchen Schmutz.
Den kühnen Seefahrern hat es an Theilnahme und Wür⸗ digung, ihrer Geſchichte an Forſchern nicht gefehlt. Dagegen die ſogenannte Wiederherſtellung der Wiſſenſchaften, oder ſagen wir treffender die Wiederbelebung des claſſiſchen Alterthums, gehört zu jenen vertrockneten Begriffen, die ſich ſeit hundert Jahren von einem Buche zum andern fortſchleppen, ausgeſtattet mit einigen Notizen und Phraſen, die denn gleichfalls ihr origi⸗ miles Gepräge durch ven vielfachen Umſatz längſt eingebüßt ha⸗
Iv Vorwort.
ben. Erſt in neueſter Zeit hat man hin und wieder den Man⸗ gel gefühlt. Bernhardy deutet ihn mit glücklichem Blicke, wenn auch faſt lediglich im Intereſſe des philologiſchen Faches an: „Zunächſt und am meiſten bedarf einer Reviſion die her⸗ kömmliche Geſchichte der Herſtellung der Wiſſenſchaften; man erfährt nichts oder unwahres vom Geiſt und von den Untiefen dieſer auf einen ſchlüpfrigen Boden gepflanzten Philologie, vom inneren Zuſammenhange der philologiſchen Arbeiten unter ſich und mit den übrigen Richtungen der Zeit; auch ſind die gefeier⸗ ten Namen der früheſten Gelehrten von allzu glänzenden Lichtern umgeben, und ihre Leiſtungen und Werke ſelten unbefangen ab⸗ geſchätzt.“ — Doch iſt eine Geſchichte der Philologie in dem betreffenden Zeitraume nicht die Aufgabe, welche dieſes Buch ſich geſtellt hat. Gleichwie die Länderentdeckungen des 15. Jahrhun⸗ derts eine viel zu großartige Bedeutung haben, als daß eine Ge⸗ ſchichte der Schifffahrt ſie erſchöpfen könnte, ſo war auch die wachſende Kenntniß der claſſiſchen Sprachen nur das Mittel, durch welches der Menſchheit ein neuer Nahrungs⸗ und Bildungs⸗ ſtoff zugeführt wurde.
Man kann nicht ſagen, daß die gtaliener die Periode des Rinascimento, die ihnen vorzugsweiſe angehört, überſehen oder vernachläffigt hätten. Man zollte ihr in der Mitte des vorigen Jahrhunderts ein reges Intereſſe und ſeitdem iſt manche brauch⸗ bare Monographie geliefert worden. Aber Dank dem kleinlichen Localpatriotismus und Dank der bekannten Methode der italieni⸗ ſchen Literatoren, nach welcher ein Jeder auf eigene Hand ar⸗ beitet und ſich um die Leiſtungen vor ihm und um ihn herum meiſtens nur dann kümmert, wenn er ſchmähen oder ſchmeicheln will — iſt Alles Stückwerk geblieben. Was der Nation gemein⸗ ſam angehört, ſoll vielleicht erſt dann an die Reihe kommen,
Borwort. V
wenn jedes Städtchen und Dörfchen, jedes Kloſter und Gottes⸗ haus alle feine winzigen Celebritäten mit biographiſchen Verherr⸗ lichungen verſorgt haben wird. Selbſt ein Name wie der Pe⸗ trarca's war nicht im Stande, die literariſchen Kräfte zu einer irgend würdigen Ausgabe ſeiner lateiniſchen Werke zu vereini⸗ gen. Mehus entwarf einen ausführlichen Plan dazu, aber die Ausführung, zu der er vor Vielen berufen war, überließ er Andern, um lieber eine Menge von halben Büchern zu ma⸗ chen, um unzähligen Kleinkram zu ſammeln und um mit jedem nicht⸗florentiniſchen Autor eine unerquickliche Fehde anzubinden. Schon Banduri hatte verſprochen, wenigſtens die noch unedirten Briefe Petrarca's bekannt zu machen, ſein Verſprechen iſt von Andern mehrmals wiederholt, nie gelöft worden. So ſtolz Ita lien auf ſeinen Petrarca iſt, kennt und lieſt es ihn nicht.
Auch die Humaniſten des 15. Jahrhunderts haben eine Fülle von Werken hinterlaſſen, die ungekannt in den italieniſchen Bibliotheken verſtauben oder in alten und ſeltenen Drucken kaum zugänglich ſind oder in verderbteſter Geſtalt vor uns liegen. Darunter zogen die Briefwechſel mit Recht das Intereſſe am meiſten auf ſich. Aber keine Edition derſelben, ſelbſt nicht die von Canneti beſorgte der Briefe Traverſari's, kann nur ent⸗ fernt genügen, ſchon weil ſie allemal nur nach einem und dem andern zufällig aufgefundenen Codex veranſtaltet und darum völ⸗ lig unvollſtändig ſind. So iſt das Material in allerlei Werke und Werkchen zerſtreut, deren einzelne ſelbſt ein Tiraboschi nicht mehr zu Geſicht bekommen konnte.
Die fragmentariſche Natur dieſer Vorarbeiten kann vielleicht manchen Irrthümern und Mängeln des vorliegenden Buches zur Entſchuldigung dienen. Es wurde ferner in Königsberg geſchrie⸗ ben, mit Benutzung einer Bibliothek, die ſtarke Lücken empfinden
vi Vorwort.
ließ und mehr als einen Wunſch, der ſelbſt durch die bereitwil⸗ lige Unterſtützung der berliner Bibliothek nicht immer befriedigt werden konnte. Seine Berufung nach München legte dem Ver⸗ faſſer andre Arbeiten auf, die ihm zu einer Reviſion der vor⸗ liegenden nicht Zeit ließen. Doch meinten Freunde, die Brauch⸗ barkeit des Buches hänge in dieſem Falle weniger von der Vollſtändigkeit des Stoffes ab, da eben keine Bibliographie des betreffenden Abſchnittes der Literatur geliefert werden ſolle und auch nicht erſchöpfende Biographien der betreffenden Literatoren. Mehr als die Hälfte des Materials bleibe immer noch hand⸗ ſchriftlich in den Bibliotheken Italiens liegen, und bei ver Fülle des vorliegenden ſcheine es überall wichtiger, den Ballaſt auszu⸗ ſcheiden, als die Ladung zu vermehren. ö
München den 30. Januar 1859.
Inhalt.
Einleitung. Italien und das Vermächtniß des römiſchen Alterthums S. 1. Italien als Stätte der Neubelebung deſſelben 3. Dürftiges Fortleben der römiſchen Literatur im Mittelalter 4. Die Kirche und die Reſte des Heidenthums 5. Die claſſiſchen Bücher in den Klöſtern 6. Ihr Inhalt ohne Einfluß auf die Bildung 7. Kritik und Geſchmack als Ausflüſſe des Individualismus 8. N
Dante Alighieri und das Alterthum 9. Sein Verhältniß zur lateiniſchen Sprache 10. Seine Perſönlichkeit 11.
Erſtes Buch. Francesco Petrarca, die Genialität und ihre zündende Kraft.
Francesco Petrarca und der Schwerpunct ſeines Genius S. 12. Der Schulmeiſter zu Avignon 14. Petrarca's Beſchäftigung mit Cicero's Schriften und mit dem Wohllaut der lateiniſchen Sprache. Das Brodſtudium 15. Petrarca als Verehrer Virgils und Cicero's 16. Sein Begriff von der Poeſie 17. Seine Elo⸗ quenz und Latinität, ſein Stil 19. Seine Schwärmerei für das Alterthum 22. Er ſucht nach Cicero's Schriften 23. Ob er Cicero's Werk „vom Ruhme“ beſeſſen? 25. Cicero's Reden und Briefe 27. Petrarca und feine Bibliothek 28. Er erhält einen Homeros. Sein Verſuch, Griechiſch zu lernen 29. Petrarca unter den Ruinen des alten Rom 30. Petrarca und Cola di Rienzo 31. Petrarca als politiſcher Ideologe und Anwalt der römiſchen Freiheit 35.
Petrarca und der Humanismus 37. Sein Kampf gegen die Scholaſtik 38. Seine Verachtung der Aſtrologie, Alchymie, Traumdeuterei und andern Aberglaubens 40. Seine Polemik gegen die Aerzte 42. Gegen das Jus 44. Gegen die Schulphilo⸗ ſophie 45. Sein Verhältniß zu Ariſtoteles 46. Zu Platon 48. Seine Stellung zu Glauben und Kirche 49. Petrarca und Auguſtinus' Confeſſionen 51. Sein Kampf gegen die ſcholaſtiſche Theologie 52. Die Secte der Averroiſten und Petrarca 52. Seine Motive, wenn er als Apologet des Chriſtenthums auftritt 56.
Petrarca als Weltweiſer 58. Die Lüge der Eloquenz 59. Petrarca als Repu⸗ blicaner und Fürſtendiener 60. Als Anachoret und Pfründenjäger 62. Der philo⸗
vin N Inhalt.
ſophiſche Einſiedler 64. Der Freundſchaftscultus 67. Petrarca's Neid gegen Dante, Hochmuth und Eitelkeit 68. Seine Ruhmesſehnſucht und Ernüchterung 72. Die Dichterkrönung und Petrarca's wechſelnde Empfindungen 74. Noch einmal Petrarca und Cola di Rienzo 76. |
Petrarca als Individualmenſch und der mittelalterliche Gegenſatz 80. Die Scene auf dem Mont⸗ Ventoux 82. Die Beſchäftigung mit dem Selbſt als Kampf 83. Die claſſiſch⸗philoſophiſchen Tractate und der Pulsſchlag der Perſönlichkeit 84. Die Acedia 85. Antiquariſches über ſie 87. Petrarca's Acedia 88. Sein Buch „über den geheimen Kampf ſeiner Herzensſorgen“ oder „von der Verachtung der Welt“. Selbſtbeichte und Bußkampf 90. Der Erfolg 95.
Petrarca's Ruf und Verehrung 96. Seine Schriften als Vorbilder neuer Lite⸗ raturzweige 99. Sein Blick in die Zukunft 100.
Zweites Buch.
Die Gründer der florentiniſchen Muſenrepublik. Die Wanderlehrer. Erweckung der claſſiſchen Autoren aus den Kloſtergräbern.
Die unmittelbar von Petrarca ausgehenden Anregungen S. 102. Ihre Con⸗ centration in Florenz 103. Giovanni Boccaccio. Sein Bildungsgang 103. Boccaccio und ſein Meiſter Petrarca 104. Boccaccio als mikrologiſcher Gelehrter 105. Der Abfall von Petrarca's genialer Höhe 107. Die Akademie von San Spirito. Luigi Marſigli 114. Coluccio di Piero de' Salutati. Sein Verhältniß zu Petrarca 116. Ueberführung der Africa nach Florenz. Salutato als florentiniſcher Staatscanzler und politiſcher Charakter 118. Seine Briefe als Muſter eines neuen Canceleiſtils 122. Seine Leichenfeier und Dichterkrönung 123. Seine literariſche Thätigkeit. Seine Schützlinge Poggio und Bruni 124.
Die Wanderlehrer 125. Giovanni Malpaghino da Ravenna 126. Gaspa⸗ rino da Barzizza 128. Manuel Chryſoloras 129. Seine Schüler in Florenz 130.
„Auſſchwung des Humanismus im Beginn des 15. Jahrhunderts 132. Die literariſchen Entdeckungen. Die Bücher in den Klöſtern. Boccaccio zu Monte Caſſino 133. Poggio auf literariſchen Entdeckungsreiſen 134. Er findet zu St. Gal⸗ len Quintilians Inſtitutionen 135. Weitere Funde. Bartolommeo da Montepnl⸗ ciano 136. Poggio findet acht Reden Cicero's 137. Sein Verfahren 138. Täu⸗ ſchende Gerüchte, zumal von den fehlenden Decaden des Livius 139. Der plautiniſche Fund 140. Auffindung ciceroniſcher Schriften 141. Griechiſche Bücher aus Byzanz. Alterthümer. Ciriaco de Pizzicolli der Anconitaner 143.
Drittes Buch.
Das erſte mediceiſche Zeitalter. Der Humanismus in den Republiken Italiens.
Stabilifirung der Humaniſten S. 147. Die Muſenrepublik von Florenz. Der Adel der Republik 148. Coſimo de Medici 149. Sein Mäcenat. Sein Bruder Lorenzo 151. Andre florentiniſche Adlige als Literatoren: Roberto de Roſſi, Rinaldo
Inhalt. IX
degli Albizzi, Palla de Strozzi 152. Die Acciajoli, Piero de Pazzi, Matteo Pal- mieri, Leonardo de Dati, Lapo da Caſtiglionchio 153.
Der um Coſimo gruppirte Literatenkreis. Niccolo de Niccoli 153. Lionardo Bruni d' Arezzo 161. Carlo Marſuppini d' Arezzo 164. Ambrogio Traverſari der Camaldulenſer 165. Giannozzo Manetti 171. Poggio Bracciolini der Florenti⸗ ner 172. Seine literariſche Muße in der Valdarniana 173. Seine Fehden und Invectiven 174.
Die nach Florenz berufenen Lehrer: Guarino 178, Aurispa, Filelfo 179. Sein erſtes Auftreten in Florenz 180. Gegnerſchaften 181. Marſuppini als ſein Katheder⸗ Rival 183. Filelfo's Satiren. Ein Meuchelmörder gegen ihn 184. Die Staats- revolution vom September 1433: Coſimo verbannt, Filelfo's Triumph; die Vergel⸗ tung, Poggio's Invectiven gegen Filelfo 185. Fortſetzung des Kampfes nach Filelſo's Abzug 187. Griechische Lehrer in Florenz: Georgios Trapezuntios. Joannes Argy⸗ ropulos 188.
Ein Blick auf die bildende Kunſt in Florenz. Leo⸗Battiſta degli Alberti 190. Verbindung der Künſtler mit den Literatoren. Der antike Geiſt der florentiniſchen Republik 192. Die Hochſchule. Der heilige Antoninus, Erzbiſchof von Florenz, als Gegenbild 193. Angriffe gegen Dante, Petrarca und Boccaccio 195. Verehrung dieſer literariſchen Ahnen zu Florenz 196. Die humaniſtiſchen Geſchichtſchreiber der Republik, ihre Staatscanzler 198. Das Bücherweſen. Florenz als Centralpunct des Buchhandels 199. Etwas über die Preiſe der Bücher 200. Niccoli's Plan einer öffentlichen Bibliothek 201. Die Marciana zu Florenz 202. Tommaſo Parentu⸗ celli (ſpäter Papſt Nicolaus V) als Bibliothekar. Coſimo's bibliothekariſche Unter⸗ nehmungen 203. Privatbibliotheken 204. Die Verherrlichung der Republik durch Wiſſenſchaft und Kunſt 205.
Der Humanismus in Siena 206.
Der Humanismus in Venedig. Die Regierung ohne literariſches Intereſſe. Dieſes eine Privatſache einzelner Adliger 207. Carlo Zeno 208. Leonardo Giuſti⸗ niani. Sein Sohn Bernardo. Francesco Barbaro 209. Die vaterländiſche Ge⸗ ſchichtſchreibung. Mißliche Stellung der berufenen fremden Lehrer 212. Büͤcherſamm⸗ lungen 213.
Der Humanismus in Genua. Jacopo Bracelli. Niccolo Ceba 214.
Viertes Buch. Der Humanismus an den Höfen Italiens.
Dynaſten und Humaniſten S. 215. Der Muſenhof zu Neapel. König Ro⸗ bert und Petrarca 218. Paolo de Perugia. Barlaamo. König Alfonſo der Arago- nier 219. Die Freiheit des Wortes an ſeinem Hof. Lorenzo Valla. Seine Dialoge über die Wolluſt 222. Seine Schrift über die conſtantiniſche Schenkung 224. Sein Streit mit den Zionswächtern 225. Valla vor der Inquiſition 226. Sein Triumph. Beccadelli's Hermaphroditus 227. Die Urtheile der Humaniſten 228. Zetergeſchrei der Mönche 229. Der Dichter als Hofrath 230. Sein Streit mit Valla. Barto⸗ lommeo Fazio. Die Verherrlichung Alfonſo's 231. Porcello 232. Filelfo und Enea Silvio de Piccolomini in Neapel. Theodoros Gaza. Manetti 234. Alfonſo's Frei⸗ gebigkeit. Sein Sohn Fernando 235.
\
x | | Inhalt.
Die Visconti in Mailand. Filippo Maria 236. Die Hofredner: Antonio Loschi, Gasparino und Guiniforte da Barzizza 238. Filelfo in Mailand, ſein Ver⸗ hältniß zum Tyrannen 239. Sein Gegner Pier⸗Candido Decembrio 240. Seine Erniedrigung zur Vulgärſprache. Die Zeit der Republik 241. Filelfo's politiſche Stellung 242. Francesco Sforza, ſeine Bildung und fein Mäcenat 243. Cicco Simonetta 244. Guiniforte da Barzizza als Lehrer der fürſtlichen Kinder. Decem⸗ brio. Lodriſio Crivelli 245. Filelfo am fforzeschiſchen Hofe 246. Die Sforziade 247. Seine Anſprüche an das Leben, poetiſche Betteleien, * Handel mit Unſterblichkeit 248. Er erlebt den Verfall ſeines Ruhmes 251.
Die kleineren Dynaſten Italiens. Die Gonzaga zu Mantua. Vittorino Ram⸗ baldoni da Feltre, der Pädagog in der Caſa Giocoſa 251. Die Eſte zu Ferrara 255. Markgraf Niccolo III 256. Guarino da Verona 257. Giovanni Aurispa. Ugo Benzi 258. Markgraf Lionello, der fürſtliche Humaniſt 259. Sein Bruder Börſo 261. Die Carrara zu Padua. Pier⸗Paolo Vergerio. Federigo di Montefeltro, Herzog von Urbino 263. Die Malateſta in Rimini und Ceſena 264. Eine Rundreiſe Filelfo's zu verſchiedenen Fürſten 266. Die Humaniſten als Politiker 267.
Fünftes Buch.
Der Humanismus an der päpſtlichen Curie. Das Zeitalter Nicolaus’ V. Die helleniſtiſchen Studien.
Der Humanismus und die bhierarchiſche Kirche S. 269. Das Schisma führt die Humaniſten an die Curie 270. Die Secretarie 271. Petrarca's Anſicht. Za⸗ nobi da Strada, Coluccio Salutato, Giacomo d' Angelo da Scarparia in der päpſt⸗ lichen Cancelei 272. Poggio als Curiale 273. Poggio unter den Monumenten und Trümmern Roms 274. Das Bugiale und Poggio's Facetien 275. Sein Kampf gegen die Bettelmönche 276. Lionardo Bruni als Curiale 277. Antonio Loschi und ſein neues Formelbuch. Papſt Martin V 278. Anſprüche der humaniſtiſchen Secre⸗ tarie 279. Papſt Eugen IV 280. Humaniſtiſche Cardinäle 281. Das Unionsconcil in Florenz: Auxispa und Marſuppini als apoſtoliſche Secretäre. Traverſari 282. Ermolao Barbaro. Verhandlung mit Decembrio. Giovanni Tortello 283. Flavio Biondo 284. Maffeo Vegio 285. Die römiſche Hochſchule. Georgios Trapezuntios als Lehrer an derſelben 286.
Tommaſo Parentucelli, als Papſt Nicolaus V. Seine Vergangenheit 287.
. Sein Charakter 289. Seine Bildung 290. Die Zeit feines Pontificats 292. Seine
Politik. Das Jubeljahr und feine financiellen Folgen 293. Die Ruhmliebe des Papſtes. Luxus der Curie 294. Bauten und Entwürfe 295. Seine Vorliebe für die Florentiner. Sein Mäcenat 298. Vernachläſſigung der Hochſchule 299. Die Gelehrten um die Perſon des Papſtes verſammelt 300. Piero da Noceto. Poggio und der Papſt 301. Seine Invectiven gegen Felix, den Gegenpapſt, und das basler Concil 303. Seine Schrift gegen die Heuchelei. Sein Rücktritt von der Curie 305. Flavio Biondo und der Papſt 306. Manetti und der Papſt 310. Balla, er bittet Papft Eugen um Verzeihung 311. Valla in Rom 313. Giovanni Tortello als. Präfect der päpſtlichen Bibliothek, ſein Buch de Orthographia 315. Aurispa in Rom 316. Decembrio. Filelfo und der Papſt 317. Seine N a Seine Aufnahme in Rom 320.
Inhalt. xl
Epiſode über die Wiederbelebung der helleniſchen Sprache und Literatur 323. Barlaamo und Petrarca 325. Leonzio Pilato und Boccaccio 326. Pilato's Ueber⸗ ſetzung der homeriſchen Epen 327. Der Hellenismus zur Zeit Petrarca's 328. Chry⸗ ſoloras. Die Griechen und die Lateiner. Ihr Wettſtreit während des Unionscon⸗ eils 329. Plethon und Platon, Coſimo's Gedanke einer platoniſchen Akademie, Marſiglio Ficino 330. Disputationsſieg der Lateiner zu Ferrara 331, Die Byzan⸗ tiner in Italien 332. .
Die Griechen an Nicolaus' Hofe. Cardinal Beſſarion 332. Seine Anteceden⸗ tien 333. Seine Rolle an der Curie 334. Sein Literatenhof. Niccolo Perotti 335. Beſſarion als Theologe und Philoſoph 336. Als Latiniſt, als Bücherſammler 337. Georgios Trapezuntios 338. Theodoros Gaza aus Theſſalonike 339.
Rom als Schauplatz der ſeandalöſen Gelehrtenchronik 340. Fehde zwiſchen Pog⸗ gio und Valla. Perotti's Einmiſchung 341. Filelfo als Friedensprediger 342. Fehde zwiſchen Poggio und Trapezuntios 343. Streit der Griechen unter ſich über den Vorzug des Ariſtoteles oder Platon 345. |
Vergleich der römiſchen Literatencurie mit der florentiniſchen Gruppe 347. Die Leiſtungen unter Nicolaus’ V. Die Ueberſetzungsliteratur 348. Ihr Verdienſt 349.
Ihr Stolz. Die griechiſche Eloquenz 350. Florentiniſche Arbeiten 351. Bruni's Ueberſetzungen zumal platoniſcher und ariſtoteliſcher Werke 352. Der neue Ariſtoteles. Andre Ueberſetzungen der Florentiner 353. Ueberſetzungen vor der Zeit Nicolaus’ V Vergerio's Arrhianos 354. Die Ueberſetzungsfabrik Nicolaus’ V: Ariſtoteles 355. Platon. Die Geſchichtſchreiber der Griechen 356. Strabon 357. Der lateiniſche Homeros als letzter Wunſch des Papſtes 358. Kirchliche Autoren 360. Nicolaus V als Bücherſammler. Alberto Enoche aus Ascoli ſein Entdeckungsreiſender 361. Grie⸗ chiſche Bücher 362. Nicolaus V als Begründer der Vaticana 363.
Sechſtes Buch. Propaganda des Humanismus jenſeits der Alpen.
Der Humanismus als weltbürgerliches Element S. 366. Die Weiſe der Pro⸗ paganda 368. Ihre Verſchiedenheit bei den romaniſchen und bei den germaniſchen Völkern 369. «
England. Cardinal Henry Beaufort und Poggio 370. Enea Silvio und Adam Mulin 371. Herzog Humphrey von Glocefter 372. William Gray 373.
Deutſchland. Antagonismus des deutſchen und des italieniſchen Sinnes 374. Deutſchlands Fürſten: König Sigmund 375. Pier⸗Paolo Vergerio bei ihm. Sig⸗ mund in Italien 376. Albrecht II und Friedrich III. Enea Silvio de' Piccolomini in der deutſchen Reichscancelei 377. Friedrich III in Italien, ſeine Dichterkrönun⸗ gen 378. Enea Silvio und Deutſchlands Fürften und Adel 379. Seine Caneelei⸗ Collegen 380. Verbreitung und Nachahmung ſeiner Schriften 381. Enea Silvio als Verfechter des Humanismus in Deutſchland 382. Sein Antipode Gregor Heim⸗ burg, der Juriſt 383. Italieniſche Humaniſten und deutſche Barbarei 390. Der Humanismus und die Preſſe 392. Durchbruch des Humanismus in Deutſchland 394.
Ungarn. Leichter Eingang der italieniſchen Bildung 395. Joannes Vitéz 396, Janus Pannonius 397. König Matthias 398.
Polen. Cardinal Zbignew Olesnicky 398.
XII Inhalt.
Siebentes Buch.
Die Erſcheinungsformen und Tendenzen des italieniſchen Humanismus im Allgemeinen.
Das claſſiſche Alterthum ein geſichertes Gut S. 400. Der nationale Stolz der italieniſchen Humaniſten 401. Ihr perſönliches Selbſtgefühl 403. Ihre moderne Auffaſſung des Alterthums und alterthümelnde der Gegenwart 406. Schein und Sein in der ſittlichen Sphäre 409.
Die Gelehrtenrepublik 412. Ariſtokratie des Talentes. Entfernung von der Kirche und den Hochſchulen 413. Die Epiſtolographie als Bindemittel, ihre Entwicke⸗ lung 414. Der Freundſchaftscultus als Umgangston 423. Die Feindſchaften unter den Humaniſten, ihre Invectiven 424. Die Stiliſtik und ihre Entwickelung 428. Die Poeſie, tusciſche und lateiniſche 431. Die Redekunſt und ihre Ausbildung 433. Die philoſophiſchen Tractate 437. Die Geſchichtſchreibung 439.
Die deſtructiven Tendenzen des Humanismus. Schöngeiſterei und Pedanterie 445. Der Kampf gegen die Weisheit der Hochſchulen, gegen die ſcholaſtiſche Methode 446. Gegen die Juriſten, ihr Uebergewicht auf den Kathedern 447. Verknöcherung der Rechtsſtudien 448. Polemik der Humaniſten gegen ſie, anbei auch gegen die Aerzte 449. Polemik gegen die Theologie 454. Das frivole Spiel der Humaniſten mit dem Heidenthum 457. Sittliche Frivolität 459. Die Zote als Literaturzweig 463. An⸗ griffe auf die Außenwerke der Religion und Kirche 466. Der Humanismus und das Mönchthum 469. Poggio's Kampf mit den Bettelmönchen 472. Aufnahme des Humanismus in die Kirche ſelbſt, ſein Sieg. 475. Pius II, der Humaniſt auf dem apoſtoliſchen Stuhl 478. Scheinbare Reaction unter Paulus II 479. Die ca⸗ tilinariſche Bande in Rom und die platoniſche Akademie 480. Triumph des Hu⸗ manismus im päpſtlichen Rom 484.
3 J 61
Einleitung.
Kein Boden Europa's iſt von ſo verſchiedenen Völkern getreten und zertreten worden als der italiſche, keiner war Zeuge ſo mannig⸗ facher und tiefgreifender Wandelungen. Auch die größte Veränderung, welche die geſchichtliche Menſchheit bisher erlitten hat, die Auflöſung der antiken Weltherrſchaft und das Emporwachſen einer neuen, auf das Blut Jeſu Chriſti gegründeten, mußte vorzugsweiſe Italien in Gährung und Sturm durchleben. Damals war es berufen, die Brücke zwiſchen dem Alterthum und der chriſtlichen Zeit zu bilden. Für dieſe be- wahrte es das Palladium der Zukunft, den Stein, auf welchem die Kirche gegründet war; vom Alterthum barg es mannigfache Reſte, ein größeres Vermächtniß, als der erſte Anſchein uns wohl glauben macht. Wenn irgendwo der antike Geiſt wieder aufleben und in die Poren der neuen Organismen eindringen konnte, ſo mußte es in Italien ſein.
Italien hat das Idiom, in welchem die alten Römer ihre Gedan⸗ ken niederſchrieben, trotz allen Völkermiſchungen am reinſten und treuſten bewahrt. Mehr als irgendwo ſonſt blieb die weltbürgerliche Sprache von Latium hier, im Brennpunkte des kirchlichen und gebildeten Lebens, die Sprache des Geſchäftstreibens, der Gelehrſamkeit, der Gottesvereh⸗ rung. Ferner weiß man, daß die letzte und neben der Völkerherrſchaft die rieſigſte Schöpfung der alten Römer, ihr Recht und ihre Rechtswiſſen⸗ ſchaft, in Italien niemals außer Geltung kam. Dieſes Römerrecht hat allmählig und unbeachtet, wie ſich das Blut der Völker der alten Welt mit dem der neuauftretenden Stämme vermiſchte, auch die Denkweiſe der letzteren, den geſelligen Verkehr und das politiſche Leben bald leich⸗
Boigt, Humanismus. 4 1
2 5 Einleitung.
ter gefärbt, bald eindringender inficirt. Es vererbte ſich auf die neue Bevölkerung eine Fülle von Erinnerungen an das Heldengeſchlecht des Romulus, welches die Welt bezwungen. Oft iſt nur noch das Monument vorhanden und ſteht als ein räthſelhafter Spuk da, wie die mittelalter⸗ lichen Märchen von der Reiterſtatue Marc⸗-Aurels oder vom Bau des Pantheon bezeugen. Oft iſt die Vorſtellung dunkel und verworren, wie die vom Cäſarenthum, als es unter dem fränkiſchen Karl wiederher⸗
geſtellt wurde, oder von der alten römiſchen Republik, als Arnoldo da Brescia den Senat, die Conſuln und den Populus Romanus wie⸗ der aufrichten wollte. Oft auch war eine Inſtitution am Leben geblie⸗ ben, ohne daß man ſich ihres antiken Urſprungs bewußt wurde, wie denn zum Beiſpiel die municipalen Einrichtungen des römiſchen Alter⸗ thums in einzelnen Städten, zumal in Rom und Florenz, niemals ganz erloſchen. Vor Allem aber hat Italien und insbeſondre Rom nimmer vergeſſen können, daß von hier aus eine Welt unterworfen und gelenkt worden iſt.
Man wird nicht leugnen können, daß Italien dem Geiſte nach die Wiege nicht nur der Hierarchie, ſondern auch die des germaniſchen Kaiſerthums geweſen. Es hat ihr Aufwachſen, ihre mächtigen Kämpfe gegen einander, dann ihren Niedergang geſehen. Beide aber, die Hie⸗ rarchie und das römiſche Reich veutſcher Nation, find von alt⸗romiſchen Ideen unmerklich durchdrungen worden, beide haben durch ſie die welt⸗ bürgerliche und univerſalmonarchiſche Richtung erhalten. Desgleichen haben die Sprache Roms, das Recht Roms und die Kirche Roms den Boden für eine europälſche Geſammtbildung geebnet und ein geiſtiges Band um die Völker geſchlungen, deſſen Handhabung Italien zur He⸗ gemonin Europa's machte.
Der erſte Blick, den wir auf die Geſchichte Italiens während des 14. und 15. Jahrhunderts vom politiſchen Geſichtspuncte aus werfen, lehrt uns ſofort, daß die Halbinfel zur Fortführung ihrer großen Auf. gabe durchaus unfähig geworden war. Wir glauben nicht mehr als einen Tummelplatz zerreißender und zweckloſer Leidenſchaften wahrzunehmen. Bon keiner mächtigen Kaiſerhand mehr zuſammengehalten, benutzen dieſe kleinen Staaten ihre Freiheit nur, um einander mit unruhiger Eifer⸗ ſucht zu quälen und zu ſchaben. Der unaufhoͤrliche Widerftreit der Oynaſten und Uſurpatoren gegen die Republifen und in letzteren der ewige Kampf zwiſchen Adel und Volkspartei, der Adelsgeſchlechter gegen einander und der demokratiſchen Gewalten gegen einander, ein vielge⸗
1.
Ginlettung. 8
ſtaltiger Bürgerkrieg hilft die Zerrüttung und die Ohnmacht vollenden. Die Halbinſel reifte der Fremdheryſchaft und doch nicht der eines einzi⸗ zen Herrſchers entgegen. Die Entfernung der Curie aus Italien und das kirchliche Schisma unterwühlten auch die religiöſe Eintracht der Gemätber, und die Vorboten der großen Kirchentrennung denteten be⸗ reits auf ein Auseinandergehen der Nationen in Glauben und Cul⸗ tus. Wie hätte Rom noch der Altar der weltbürgerlichen Idee bleiben können 5 |
Wie nun Italien das Herz des mittelalterlichen Staatenorganis⸗ mus genannt werden kaun, ſo repräſentirt feine Geſchichte gleichſam die generelle. Es iſt, als ſchneide die aufſteigende Entwickelung des Mittel⸗ alters überhaupt ſeit der Mitte des 13. Jahrhunderts faſt plötzlich ab. Das, Fortleben aller mittelalterlichen Schöpfungen iſt nur noch ein mechaniſches Weiterſpinnen ihrer dürftigen Exiſtenz. Das Kaiſerthum mit feinen weitfichtigen Entwürfen ſinkt ſeit dem Ausgange der Hohen⸗ ſtaufen zuſammen; die Hierarchie mit ihrer gottesſtaatlichen Tendenz folgt ihm nach, ſobald ſie des anſpannenden Gegenſatzes entbehrt. Geiſt und Gemüth verdumpfen überall unter dem Zwange eines kalten Formalismus. Die Hochſchulen find nur Gefängniſſe des Geiſtes, in denen jede Regſamkeit durch die eiſernen Bande der Scholaſtik gebro⸗ chen wird, dieſe aber, obwohl ſie einen gewiſſen Fond von Kenntniſſen und Anſchauungen im Umſatz erhielt, iſt eben keine Wiſſenſchaft, ſon⸗ dern nur die disciplinirende Methode aller Wiſſenſchaften, die in ihrem ſtrengen Banne wie im Kloſter und unter der umſchränkenden Regel fortleben. Auf dieſer Bahn war kein Fortſchreiten möglich, der arbei⸗ tende Geiſt drehte ſich immer nur im Kreiſe herum.
Da nun keimte in Italien die Saat einer neuen Bildungs vegeta⸗ tion, die ihre Blüthen zunächſt auf dem literariſchen und küuſtleriſchen Gebiete treiben ſollte und eine neue Einigung Italiens nicht nur, ſon⸗ dern der gebildeten Welt überhaupt, unter dem Banner der Muſen zu vollbringen berufen war. Dieſe Entwickelung tritt nun in den Vorder⸗ grund, während pas Intereſſe an der kirchlichen Politik, an den Krie⸗ gen und Revolutionen, ſelbſt an den wiſſenſchaftlichen Beſtrebungen immer mehr zurückſchwindet. Sprechen wir die neue Aufgabe Italiens aus, ſoweit ſie zu faſſen uns gegeben iſt. Das Alterthum und die Blüthe des chriftlich-romantifchen Lebens zu recapituliren, die Form und ſinnliche Schönheit als das Erbe der claſſiſchen Völker mit dem Geiſte der Romantik im Kunſtwerke zu vereinigen, das iſt das Ziel,
1 *
4 leitung.
dem fich fortan die edelſten Kräfte zuwenden, das ift die Bedeutung eines Arioſto und Taſſo, eines Bramante und . eines eio- nardo da Vinci und Rafaele Sanzio.
Wir haben hier nur ein Stadium und eine Seite diefes cultur⸗ geſchichtlichen Proceſſes zu verfolgen, die Wiedergeburt des claſſifchen Alterthums und ſein Eindringen in das geiſtige Leben zunächſt Ita⸗ liens. Wir haben ferner nur das Kindes⸗ und das Jünglingsalter dieſer Beſtrebungen vorzuführen, wie jenes ſich aneignet und lernt, ge⸗ fördert durch den Trieb der Nachahmung, wie dieſes die erworbenen Kräfte und Kenntniſſe übt, muthig gebraucht und keck mißbraucht. Das Entſtehen und Wachſen wird daher unſer Intereſſe auf ſich zie⸗ hen, noch nicht Schöpfungen, die den Stempel der Reife und Dauer tragen.
Vom claſſiſchen Alterthum 88 vorzugsweiſe ſeine lrerarischen Monumente, mit ihnen ſank es in den Winterſchlaf, mit ihnen ſollte es zu einem neuen Frühling erweckt werden. Seine Geſchichte knüpft ſich alſo an die ſeiner Literatur. Die Männer ſelbſt, welche die rö⸗ miſchen und griechiſchen Autoren wieder in das Leben führten, ſprachen regelmäßig von ihrem ſiebenhundertjährigen Schlummer. Sie rechneten nicht falſch; mit dem römiſchen Reiche ſchwand auch der Sinn für die römiſche Literatur allmählig dahin, im 7. Jahrhundert war er ſo gut wie erloſchen. Aber wir dürfen ihnen jenes Wort doch ſo unbedingt nicht nachſprechen; mitten in der Flamme ſtehend, ſahen ſie die glim⸗ menden Funken nicht. Wie die römiſchen Rechtsbücher, ſo blieb auch die geſchichtliche, philoſophiſche und poetiſche Literatur der Römer nie⸗ mals ganz unbeachtet liegen, immer ſind Livius und Salluſtius, einzelne Schriften Cicero's und Seneca's, Virgilius und Lucanus, Horatius und Ovidius, Terentius und Plinius einmal in der ſtillen Kloſterzelle geleſen und in die kirchlichen, ſcholaſtiſchen und geſchichtlichen Werke verwebt worden. Schon die Kirchenväter wieſen vielfach auf die pro⸗ fanen Autoren hin, denen ſie ja ihre Erudition zum guten Theile ver⸗ dankten. Durch ihre Schriften ſowie durch die ſpäterer kirchlicher Sammelgeiſter, etwa des Biſchofs Iſidorus von Sevilla, blieben einige Kenntniſſe und Notizen aus dem claſſiſchen Alterthum in ftetem Um- lauf. Andre pflanzten ſich, wenn auch noch ſo verſtümmelt, durch Sage, Legende und Dichtung fort, wie die wirren Märchen vom trojaniſchen Kriege, von Alexander dem Großen, von einzelnen römiſchen Impera⸗ toren. Boethius, deſſen chriſtlich⸗philoſophiſches Troſtbüchlein allezeit
Einleitung. 5
in hohem Anſehen ſtand, gab in feinen Commentaren zugleich einen Impuls zum Studium oder doch zur Beachtung der ariſtoteliſchen Phi⸗ loſophie. Aehnliche Berührungen gab es hundertfach. Auch haben im⸗ mer Einzelne die griechiſche Sprache entweder im apuliſchen Reiche oder in Griechenland ſelbſt gelernt. Endlich beſitzen wir aus allen Perioden der mittelalterlichen Zeit die handſchriftlichen Copien clafft- ſcher Auteren, die doch ein thätiges Intereſſe für dieſe Literatur be⸗ zeugen. 8
Dennoch überwogen bei Weitem die Momente, welche dem Alter⸗ thum entgegenſtanden. Noch kannten der chriſtliche Glaube und die Kirche keine Ausſöhnung mit demſelben. Im ſteten Kampfe mit der heidniſchen Welt waren ſie groß gewachſen, und wenn auch noch ſo kümmerlich, glimmte doch zu allen Zeiten der Funke des Heidenthums unter den Trümmern ſeiner Tempel fort, es blieb, auch beſiegt, mit ſeinen freien, durch Kunſt verſchönten Lebensanſchauungen immer noch ein furchtbarer Feind. War es doch in den Zeiten des Unterganges ſelbſt manchem ehrwürdigen Lehrer der Kirche, der vorher Sophiſt oder Phetor geweſen, wie eine lockende Sirene erſchienen. Man führt wohl den Rigorismus Gregors des Großen als Beweis an, wie tief und mit welcher Verachtung zu feiner Zeit die heidniſchen Dichter unter die Füße getreten ſeien, aber gerade daß Gregor ſich genöthigt glaubte, energiſch gegen ihre Leſung anzukämpfen, zeigt uns doch wieder, daß der Sinn dafür und die verführeriſche Macht dieſer Todten keinesweges dahin war. Selbſt als der Kampf mit den Reſten des Heidenthums wirklich in den Hintergrund trat, als der Streit der Kirche des Occi⸗ dentes mit der des Orientes, das Ringen der römiſchen Biſchöfe mit der Kaiſergewalt die Gemüther in Anſpruch nahm, als dann im Anta⸗ gonismus der kirchlichen Gewalten gegen einander die Wiſſenſchaft vor⸗ zugsweiſe bemüht war, theolegifche und canoniſtiſche Waffen zu ſchmie⸗ den, ſelbſt damals konnte man ſich eines furchtſamen Grauens nicht erwehren, wenn man an die bezwungenen Mächte dachte, die wie ge⸗ feſſelt in der Hölle, aber doch noch lebend und Rache ſinnend drohten. Die Zeit der Griechen und Römer erſchien als eine Nacht, in welcher die Menſchen unreine Dämonen angebetet; dieſe Dämonen aber, mit denen einſt der chriſtliche Glaube gebrochen, webten im Aberglauben ihr unheimliches Daſein fort. Nein, die Kirche, ſo lange ſie beſtrebt war dem weltlichen Treiben gegenüber das Gottesreich auf Erden dar⸗ zuſtellen, konnte nimmer dem Alterthum die ausſöhnende Hand reichen.
6 Einleitung.
Sie konnte es nicht dulden, daß der Geiſt ſich mit Liebe in eine Ver⸗ gangenheit verſenkte, die nicht ihre eigene war, daß er abgelenkt wurde von dem Blicke in das Reich, welches Jeſus der Zukunft e hat und beſſen Schlüſſel fie allein führte.
Demnach hat die Kirche, während der Geiſt der Reinigung in ihr noch lebendig und eine heilige Herrſchaft ihr Ideal war, die mächtig⸗ ſten Hebel menſchlicher Thaten, Gefühl und Phantaſie, für ihre Zwecke abſorbirt. Das Denken hielt fie durch ihre Dienerin, die Scholaſtil, in Zucht und Banden. Den Sinn für das Schöne erdrückte ſie lieber, als daß fie ihm den Nahrungsſtoff, den er bei den claffifchen Völkern finden konnte, gegönnt hätte. Es iſt kein Zufall und noch oft wird in dieſem Buche darauf hingewieſen werden, daß erſt mit dem Erblei⸗ chen der kirchlichen Sonne das Mondlicht des Heidenthums, welches lange von ihr überſtrahlt worden, wieder hervortrat.
Finden wir hierin nicht den tiefſten Grund, ſo wäre die Erſchei⸗ nung ganz unerklärlich, daß alle die Beſchäftigung Einzelner mit der claſſiſchen Literatur, die uns während des Mittelalters nicht ſelten ent-, gegentritt, doch für die Geſammtbildung deſſelben völlig unfruchtbar blieb. Das Alterthum iſt einmal eine Welt für ſich; nur demjenigen, ber es als ſolche auffaſſen und mit unbeirrter Hingabe betrachten kann, bietet es ſeinen bildenden Stoff. Kein Theil der Wiſſenſchaft kann gedeihen, ſo lange er einem andern zu dienen verurtheilt iſt.
Gewiß verdanken wir die Erhaltung der elaſſiſchen Literatur, fo- weit ſie uns eben erhalten ift, vorzugsweiſe den Kloſterbrüdern. Jahr⸗ hunderte lang haben fie treu das von ihren Vorgängern erworbene Gut aufbewahrt und geſchützt, auch durch Abſchriften vervielfältigt. Aber ihr Beruf war es niemals, Geiſt und Herz haben ſie dieſer Arbeit nicht gewidmet. Das Bücherabſchreiben war gemeinhin nur ein dürres Handwerk, von der Ordensregel bald geboten, um durch friedliche Be⸗ ſchäftigung die rohe Sitte zu brechen, um die Muße ſchwächlicher Brü⸗ der zu füllen oder um dem Kloſter einen Erwerb zuzuwenden, bald mi geftattet, in andern Fällen auch wieder verboten. Wurden dann in den berühmten Häuſern der Benedictiner zu Monte Caſſino, Cluny, St. Gallen oder Fulda neben den theologiſchen, Meß⸗ und Gebetbüchern auch einmal claſſiſche Werke copirt, ſo geſchah es nach dem Gebote des Abtes oder es war vielleicht auch die ſpielende Liebhaberei des Bruders ſelbſt. Immer aber blieb es bei dem todten Buchſtaben. Oft auch, an Ye vornehme Abt mit dem Falken auf der Hand durch die
Einleitung. | 7
Felder ſtrich, zu Turnieren und Hoffeſten zog oder beim ſchlemmeri⸗ ſchen Mahle den Poſſeureißern zuſchaute, während die Brüder umher⸗ ſchlenderten oder ein müßiges Geſpräch durch Wein belebten, verſtaub⸗ ten und verrotteten die Bücher in der dunkelſten und feuchteſten Zelle, aukgenommen vielleicht die Urbarien, auf denen die Einkünfte und Nutzbarkeiten des Kloſters beruhten, therapeutiſche, aſtrologiſche und Gebetbücher. Da iſt im Laufe der Jahrhunderte von den claffiſchen Autoren vielleicht ebenſoviel zu Grunde gegangen und für ewig verlo⸗ ren, als auf der andern Seite gerettet worden. Sie waren auf Gaſt⸗ freund ſchaft gewieſen geweſen, ein Heimathsrecht hatte man ihnen nie gönnt. Daſſelbe Daſein, welches die claſſiſchen Bücher in den Klöſtern führten, lebte ihr Inhalt in den Geiſtern. So lange die Bildung über⸗ haupt und der Unterricht insbeſondre faſt ausſchließlich in geiſtlichen Händen war, wurde die antike Literatur mit ſtiefmütterlicher Laune be⸗ handelt. Daher iſt der ſcheinbare Aufſchwung im karolingiſchen Zeit⸗ alter und fein Nachhall im ottonifchen ohne Wirkung geblieben wie die Berührungen mit Byzanz, dem Archive des Hellenismus, die hin und wieder im Abendlande flüchtige Moden erzeugten, wie die oft er⸗ ſtaunlichen Anſtrengungen Einzelner. Es fehlte die Contivuität des Strebens, es fehlte das Zuſammenwirken der Strebenden. Die Mei⸗ ſten hatten keinen andern Begriff, als daß die lateiniſche Sprache eine Magd der Kirche ſei. Man lernte ſie aus Donatus und Priscianus, man las einzelne Schriften Cicero's oder einen Dichter dazu, um Bei⸗ ſpiele für die Regeln der Grammatik zu finden. Ein armſeligeres Fortleben der römiſchen Autoren iſt kaum zu denken, als wie ſie da⸗ mals zur propädeutiſchen Ausbildung der Kleriker oder als mattherzige Nebenbefshäftigung dienten. Und es ging ihnen nicht beſſer, wenn fie aus dem Kloſter in die Kloſterſchule und dann in die Hochſchule ver⸗ pflanzt wurden. Auch hier dienten ſie den großen Facultätswiſſenſchaf⸗ ten; ein ſelbſtſtändiges Leben haben ſie ſelbſt bei den Geiſtern erſten Ranges, bei einem Abailard und Johannes von Salisbury nicht er⸗ langt. Notizen aus dem Alterthum halfen höchſtens die Lücken eines theologiſchen oder philoſophiſchen Syſtems verſtopfen, gleichwie man die Marmorſänlen alter Tempel und Paläſte ohne Schaam zu gemei⸗ nem bürgerlichem Gebrauche verwendete. |
Wir wiederholen nicht das alte Lied von der Urtheils⸗ „Kritik⸗ und Geſchmackloſigkeit der mittelalterlichen Zeiten. So gedankenlos es oft
8 Einleitung. nachgeſungen worden, ſo bleibt unleugbar, daß der geiſtige und zumal der äſthetiſche Erwerb des Alterthums Jahrhunderte lang ſo gut wie
verloren war. Nur einige minder beachtete Erſcheinungen wünſchten wir
hier hervorzuheben, weil fie die verzehrende Dictatur der Kirche ain ſchlagendſten beweiſen und weil wir in den folgenden 838 gerade dieſe Geſichtspunkte feſtzuhalten gedenken.
Die herrſchende Kirche duldet den individuellen Menſchen nicht. Alles ſoll zum fügſamen Gliede in der Kette ihrer Syſtematik werden und ſich dem Geſetze ihrer Inſtitutionen unterordnen. Sie kennt kein beſonderes Geiſteseigenthum und in dieſem Sinne iſt fie auch mit der claffifchen Literatur verfahren. Darum wurden die Werke derſelben nach Belieben verkürzt und erweitert, verchriſtlicht und verſtümmelt, darum ohne Abſicht einer Fälſchung angeſehene Autorennamen zu modernen Machwerken mißbraucht. Es iſt bekannt, wie zum Beiſpiel Donatus ein Collectivbegriff für jede Grammatik, Servius für jeden Commen⸗ tar zum Virgilius wurde. Die Kraft, die ſolchem Beſtreben entgegen⸗ tritt, iſt die Kritik: in ihr ſetzt ſich der Einzelne, auf den ihm eigen⸗ thümlichen Geiſt vertrauend, der zwingenden Autorität gegenüber.
Die Kirche ruhte ferner ſelbſt auf einer Fülle ſehr verſchiedenar⸗ tiger Autoritäten und die kirchliche Wiſſenſchaft hatte den Beruf, ihre Widerſprüche auszugleichen und das Lehrgebäude nach beſtimmten Ten⸗ denzen abzurunden. Um keine dieſer Autoritäten zu untergraben, hielt ſie alle in gleicher Achtung. Solche Behandlung mußten ſich auch die Claſſiker gefallen laſſen. Die philoſophiſche Moral des Ariſtoteles durfte der kirchlichen nicht widerſprechen; Cicero, Seneca und Boethius wurden betrachtet, als ſtänden ihre Schriften in gleichem Range neben einander; Florus, Eutropius und Valerius Maximus galten daſſelbe wie Salluſtius und Livius; neben Virgilius, Statius, Lucanus, Juve⸗ nalis und Perſius behaupteten ſich in demſelben Anſehen Dichtwerke eines Marbod von Rennes, Alanus ab Inſulis und Johannes von Salisbury. Eine Scheidung zwiſchen ſolchen Autoritäten erforderte gleichfalls die Kraft der Kritik, mehr aber noch ein ſich bildendes Ge⸗ fühl für die edlere Form und den tieferen Gehalt. Der Geſchmack aber, den die Kirche nicht duldete, war wiederum Sache des Einzelnen.
Um dieſer individuellen Kraft Spielraum zu ſchaffen, mußte die neue Wiſſenſchaft, die das Erbe der claſſiſchen Nationen antrat, das Kloſter, die geiſtliche Zucht und die zünftigen Univerſitäten verlaſſen. Ihre Jünger mußten Kutte und Meßgewand von ſich werfen und ſich
Euleltung. 9
als Sühne des alten Rom gleichſam in Tunica und Toga kleiden. Ein neuer Stand mußte in die Geſellſchaft treten mit einer neuen und ſelbſtſtändigen Bildung, bald neben die Kirche, bald feindlich ihr gegen⸗ üͤbergeſtellt, immer aber weſentlich von ihr geſondert.
Wer der Bildung des neueren Italien nachſpürt, in welcher Rich⸗ tung es auch ſei, kann bei Dante Alighieri nicht achtlos vorüber⸗ gehen. Den Reſtauratoren des claſſiſchen Alterthums können wir ihn freilich nicht beizählen. Seine Größe liegt darin, wie er die ſyſtema⸗ tiſche Scholaftil und die provencaliſche Romantik fo wunderſam in ſich vereinigt. Seine Bildung beruht noch ganz auf den Disciplinen des Trivinms und Quadriviums, feine Leitſterne find die Bibel und „der Philoſoph“, in zweiter Reihe ſtehen ihm abwechſelnd Auguſtinus und Thomas von Aquino, Boethius und Cicero. Der Geiſt Dante's ift ein ſchwerwandelnder, leichte, anmuthige Formen reizen ihn nicht; er ſucht in den Tiefen nach dem Golde der Weisheit und bleibt unbe⸗ rührt von der heiter lockenden Pracht der Fläche. Vom leichten Blute der Hellenen und der helleniſirten römiſchen Dichter iſt kein Tropfen in ihm. Seiner Phantaſie hält die ſtrenge Logik den Zügel, ein freies Tummeln gönnt er ſeinem Genius niemals.
Und doch, wie die Wirkungen großer Geiſter unberechenbar find, ahnen wir ſchon in Dante 's Werken etwas von den geheimnißvollen Impukfen, die zu den Schätzen der claſſiſchen Römerzeit hinzutreiben ſcheinen. Er las ihre beſten Dichter, Ovidius, Virgilius, Horatius und Juvenalis, und findet er gleich ihren Werth nur in ihren lebens⸗ weiſen Sentenzen und nicht auch, wie die fpäteren Humaniſten, im Wohlklang ihrer Verſe und der Eleganz ihres poetiſchen Stils, ſo war es doch ſchon bedeutſam, daß er Dichterwort neben die hergebrachten Autoritäten zu ſtellen und zu ſeinen Kunſtſchlüſſen zu verwenden wagte. Eine Fülle von Beweiſen dafür hat man weniger in ſeinem großen Gedichte als in ſeinen proſaiſchen Werken zu ſuchen. Aber auch in jenem iſt bemerkeuswerth, wie er heidniſche und chriſtliche Materien, alte und moderne Geſchichte, helleniſchen Mythus und kirchliche An⸗ ſchauungen oft gar wunderlich durcheinandermiſcht. Er führte das Al⸗ terthum, wenn auch nur notizenweiſe und zerſtreut in die tusciſche Poeſie ein, gleichwie fein Lehrer und Freund Brunetto Latini zuerſt
10 Einleitung 5
römiſche Autoren, den Ovidius und Boethius, in die Vulzärſprache überſetzt hat.) Einen Autor wie Livius las Dante mit Gefühl: hier erſchloß ſich ihm der Begriff jener patriotiſchen Tugend, in deren Lichte die Thaten des alten Rom ſchimmern; davon zeugt das zweite Buch ſeines Werkes über die Monarchie.
Dante hat es wohl erkannt, daß die lateiniſche Sprache der Volks⸗ ſprache, die noch nicht Norm und Ausbildung erhalten hatte, an Adel und Schönheit überlegen ſei.) Auch begann er ſeine göttliche Comö⸗ die in lateiniſchen Hexametern: Ultima regna canam ete. Wenn er trotzdem in der Folge zur erlauchten Mundart von Si griff, ſo lag der Grund wohl ſchwerlich in dem ſtolzen Gedanken, den der Dichter ein⸗ mal geäußert haben foll: er ſehe, wie die großen Dichter der Alten von den Menſchen ſeines Zeitalters nicht verſtanden und gering geach⸗ tet würden; deshalb habe er die claſſiſche Lyra bei Seite gelegt und eine andere bereitet, die für dieſe modernen Menſchen paſſe, denn dem Säugling biete man vergebens feſte Speiſe an.) Dagegen hat ihn gewiß ein anderer nicht minder ſtolzer Gedanke gereizt: er wollte gerade die mißachtete Vulgärſprache, indem er fie zur Form feines hohen Geiſtes wählte, zu Ehren bringen. Als ihm Giovanni di Virgilio zumuthete, ſeine edlen Geiſteswerke nicht dem Pöbelhaufen, ſeine Perlen nicht den Schweinen zuzuwerfen und die caſtaliſchen Schweſtern nicht in ein unwürdiges Gewand zu zwängen, wies Dante dieſe Aufforde⸗ rung in der erſten ſeiner Eclogen ſcherzend zurück.) Am Ende ſeines Lebens hat er in der Abhandlung de vulgari eloquio den Triumph der erlauchten Vulgärſprache auch theoretiſch gefeiert und zwar in bar⸗ bariſchem Latein. Und doch ſind die beiden lateiniſchen Eclogen, die wir von Dante beſitzen, gerade deshalb ſo denkwürdig, weil zuerſt in ihnen die Eleganz der Alten wiederangeſtrebt und Virgilius auch in der Form zum Vorbilde genommen wird. Selbſt der Gebrauch der Volksſprache in der göttlichen Comödie hat eine Frucht getragen, die
) Mehus Vita Ambrosii Traversarii vor deſſen Epistolae recens. Canneti. Florentiae, 1759. p. 157 sq.
) Convito tr. I. cp. 5.
) Nach der bekannten Erzählung des Mönches Jlario, die er in einem Briefe an Uguccio da Faggiola mittheilt, b. Mehus Vita Ambr. Travers. p. 321. Sie liegt offenbar auch der vielfach nachgeſprochenen Anſicht Boccaccio's (Comento sopra la Commedia di Dante. Opere vol. IV. Firenze, 1724. p. 17) zu Grunde, nur daß dieſer ſie ein wenig ſeinem Gedankenkreiſe angepaßt hat.
) Die Ecloge Giovanni s b. Mehus J. c. p. 320.
Einleitung. 11
freilich nicht in des Dichters Abſicht lag, aber doch den kommenden Zeiten in die Hand arbeitete: jene Sprache entfremdete nämlich das große Gedicht dem kirchlichen Kreiſe und übergab es einem Theile der Nation, welcher dann zum Träger der humaniſtiſchen Richtung beru⸗ fen war.
Höher indeß als alles das ſchlagen wir Dante's Perſönlichkeit an. Einſam und in ſtolzer Selbſtſtändigkeit durchſchritt der große Laie das Leben. Die Majeſtät des Denkers und Dichters, die ſeine Zeitgenoſſen auf der gewaltigen Stirn und den dunkeln Geſichtszügen thronen ſahen, war kein Heiligenſchein, auch keine Würde, die Fürſten der Kirche oder Fürſten der Welt verleihen N es war die e des auf ſich felber rußenden Mannes.
12
Erbes Duc. Francesco Petrarca, die Genialität und ihre bbs. Kraft.
*
Es war höchſtens eine dunkle Ahnung, mit der Dante in das gelobte Land hinüberzuſchauen vergönnt war, ſeinen Boden hat er noch nicht betreten. Der Prophet und zugleich der Entdecker der neuen Welt des Humanismus war Francesco Petrarca. Er hat nicht nur vorwärtsweiſend ihre Bahnen und Perſpectiven eröffnet, er hat ſie bereits in allen Richtungen mit ſichern Schritten des Triumphes durch⸗ meſſen. Was die Bedeutung des Genius in der Weltgeſchichte iſt und daß er wirklich mehr wie eine ſinguläre Wundererſcheinung als wie ein aus nachweisbaren Factoren gewordenes Product zu betrachten iſt, wird an ſeiner Geſtalt auf das Ueberraſchendſte klar. Wer dieſe Einſicht gewinnen will, wird ſich freilich von dem gebräuchlichen, in Italien und Frankreich beinahe canoniſch geltenden Urtheil über Petrarca loswin⸗ den und derjenigen Meinung wieder nähern müſſen, die unter den Zeitgenoſſen des Mannes die allgemeine war.
Hier iſt nämlich nicht weiter vom Sänger Laura's, von feinen majeſtätiſchen Canzonen und ſterbensſüßen Sonetten die Rede. Wenn⸗ gleich Schöpfungen von ſirenenhaftem Zauber, zeigen ſie ihn doch nur als den Meiſter einer melodiſchen Sprache, die er ausgebildet vorfand, als gewandten Beherrſcher jener Welt von Liebes vorſtellungen, die un⸗ ter einem andern Himmel entſtanden war und dort ihre Blüthe bereits ausgehaucht hatte. Und dieſes Gebiet, deſſen Beſchränktheit an ſich einleuchtet, beutete er ſo unerſättlich aus, daß er den unzähligen Nach⸗ folgern zwar die Wege plattgetreten, aber die Früchte vorweggenommen
I. Petrarca's weltgeſchichtliche Bedeutung. 13
hatte. Die Verſuchung, in die er gerieth, ſeine Reime als „frivol“ den Flammen zu übergeben, wird nicht größer geweſen ſein als bei Hunderten, die ſeit Virgilius damit gedroht, indeß ſprach er von ihnen bekanntlich immer nur wie von jugendlichen Spielereien, in welchen er dem Geſchmacke des ungelehrten Volkes gehuldigt und von denen er die Unſterblichkeit feines Namens nicht erwartete). So dachten auch die Beften feiner Zeitgenoſſen, fo urtheilte man noch ein paar Jahr⸗ hunderte nach ihm und zwar mit richtigem Inſtinct oder vielleicht auch mit noch warmer und dankbarer Anerkennung jener großartigeren Leiſtungen, die unſerm Blicke nur deshalb leichter verborgen bleiben, weil ſie das in der Tiefe der Vorzeit ruhende Fundament des Gebäu⸗ des find, in deſſen ausgebauten Gemächern wir bereits mit Behaglich⸗ keit wohnen.
Der Genius Petrarca's ruht, um vorerſt nur vielen Sinn in ein Wort zu drängen, in der von ihm erſchloſſenen Welt des Humanis⸗ mus. Nicht nur daß er dem in langen Winterſchlaf gehüllten Alter⸗ thum das Erwache zugerufen, daß er eine erſtarrte Welt neubelebt, er hat ſie auch in den Kampf mit der ihn umgebenden geführt und aus dieſem Kampfe ahnungsvoll ein neues Zeitalter emporſteigen geſehen. Hier wies er auf ein Feld mühevollen und unendlichen, aber reichloh⸗ nenden Strebens, gab Hunderten von Talenten ihre Richtung, und wurde er auch nach wenigen Menſchenleben in mehr als einer Bezie⸗ hung ſchon überflügelt, ſo geſchah es nur in der Weiſe, wie der Ent⸗ decker des vierten Welttheiles an Kenntniß deſfelben bald freilich einem Schulknaben hätte weichen müſſen. Nicht nur in der Literargeſchichte Italiens, ſondern in der der civiliſirten Welt, und nicht nur in dieſer, ſondern in der Geiſtesgeſchichte der Menſchheit überhaupt, ſoweit man
) Sonetto I; epist. de reb. famil. VIII, 3. de reb. senil. V, 3; XIII, 10. XV, 1 (p. 1047). Auch die Widmung des Tractates de vita solitaria ſpricht wohl von den Liedern in tuseiſcher Sprache. Gleich hier ſei bemerkt, daß alle Citate aus den lateinischen Werken Petrarca's ſich auf die Ausgabe ſeiner Opera omnia Basil., 1554 beziehen. — Ich bedaure allerdings, die Lebensbeſchreibungen Petrarca's von Baldelli und Campbell bei der Bearbeitung dieſes Abſchnittes entbehrt zu haben. Indeß find die äußeren Umriſſe feines Lebens und das Bibliographiſche über feine Werke keines großen Studiums mehr bedürftig. Wem es nur darum zu thun ift, der findet z. B. in dem Artikel, den Blanc für die Allgemeine Eueyklopädie der Wiſſenſchaften und Künſte lieferte, genügenden Aufſchluß. Aber wahr mag es den⸗ noch bleiben, was Bettinelli bemerkte, daß die dreißig Lebensbeſchreibungen des Laura Sängers uns nur Eine wünſchen laſſen, die feiner würdig wäre.
14 I. Petrarta nad der Schalmeier.
dieſen Begriff auch faffen mag, glänzt Petrarca's Namen als an Stern erſter Größe, und er würde nicht geringer erſcheinen, wenn er auch nie einen Vers in der Sprache von Si gedichtet.
Wer das Thun eines ſolchen Mannes zu ſchildern und ſeinen G. dankengängen zu folgen unternimmt, wird immer feine Geſichtspuncte beſchränken, ja eingeſtehen müſſen, daß viele ihm verſchloſſen geblieben fein und glücklicheren Forſchern vielleicht aufleuchten mögen. Genug, wenn es gelänge, durch die Hüllen zum Kerne zu dringen. Wir möch⸗ ten vorzugsweiſe diejenigen Momente aus Petrarca's Leben und Stre⸗ ben darlegen, in denen er gleichſam tonangebend für die ihm nachfel⸗ genden Jünger und Schulen des Humanismus geworden iſt. Denn es iſt überraſchend, wie ſich bei ihm nicht nur Geiſtes richtungen, ſondern aus ihnen ſelbſt Geſinnungen und äußere Lebensverhältniſſe herausbil⸗ deten, denen wir dann Jahrhunderte lang auf jedem Schritte durch das literariſche Gebiet wieder begegnen.
Die erſten Auregungen eines reichbegabten Geiſtes find oft die be⸗
ſtimmendſten, immer aber am ſchwerſten nachzuweiſen. Einen Lehrer von Bedeutung hat Petrarca nicht gehabt. Der alte Schulunsiſter, der ihm zu Avignon die erſten Elemente der Grammatik und der herge⸗ brachten Rhetorik einprägte, war es ſicher nicht. Zur Zeit, da Pe⸗ trarca noch ein Jüngling war, hatte jener bereits, wie man ſagte, ſechszig Jahre lang Schule gehalten, eine Generation wie die andre behandelt, immer aber in Armuth und Noth gelebt. Ex war ganz ſtumpfſinnig geworden und es beherrſchte ihn die ſonderbare Vorſtellung, daß er Bücher ſchreiben müſſe, doch über einen ſehr wunderlich gewähl⸗ ten Titel und über das Prosmium kann er nicht hinaus. Petrarca 6 Vater ließ dem armſeligen Greis manche Unterſtützung zukommen und das that nach ſeinem Tode auch der Sohn, der überdies der ganze Stolz des Lehrers war. Wenn dieſen der Cardinal Giovanni da Co⸗ lonna ſcherzend fragte: Nun ſagt mir, Magiſter, gehört zu Euren gro⸗ ßen Schülern, die Ihr ſo zärtlich liebt, nicht auch unſer Franciscus? dann ſtiegen dem ehrlichen Grammatiker ſogleich die Thränen in die Augen, er ging mit rührendem Schweigen bei Seite oder er ſchwur hoch und theuer, nie habe er einen Schüler ſo ſehr geliebt. Man wußte, daß der junge ae dem Alten ein Gegenfians . Schwärmerei war.
Y Petrarca epiat. rer. senil. XV. 1. Filippo Villani (bei Mehus Vita
5
I. Petraten als junger Schöngeiſt und Inriſt. 15
Pekrarca's Vater beſaß einige Schriften Cicero's umd hielt ſte in ren, doch mehr wegen des juriſtiſchen Intereſſe. Sie fielen in die Hände des Knaben, noch bevor dieſer von ihrem Inhalt und Werth eine Vorſtellung haben konnte, und während ſeine Spielgenoſſen ſich mit ver Schulgrammatik und den äſopiſchen Fabeln abquälten, freute er ſich bereits des majeſtätiſchen Klanges und des ſüßen Wohllautes der lateiniſchen Worte. Je mehr er verſtehen lernte, deſto mehr ſchien ihm Cicero's Sprache alles Andere zu übertreffen.) Wir ſehen wohl, wie das Ohr, der Sinn für Klang und Rhythmus dasjenige Organ war, durch welches er zuerſt und am eigenthümlichſten auffaſſen lernte, durch welches er aber auch gerade zu jenem Gefühl für Formenſchön⸗ heit geleitet wurde, welches der Welt des Mittelalters am meiſten ver: loren gegangen war. Vers und Wohlklang waren ihm wie angeboren.) Selbſt' ſeine Stimme, fo rühmt Filippo Villani, war fo tönend und füß, daß man nicht fatt werden konnte, ihn anzuhören. Auch wird in Mefer Sphäre der Zufammenhang erkennbar zwiſchen dem, was Pe⸗ trarca in lateiniſcher, und dem, was er in tusciſcher Sprache erſtrebte. Die gereimten lateiniſchen Hexameter, die er in jüngeren Jahren ge⸗ dichtet, darf man als einen Uebergang anſehen.
Dieſe Liebhaberei für das Muſicaliſche der lateiniſchen Sprache und des antiken Verſes wuchs unter einem äußeren Drucke deſto leben⸗ diger hervor. Petrarca ward von ſeinem Vater für das Brodſtudium ber Rechte beſtimmt und ſieben Jahre lang auf den Hochſchulen zu Montpellier und Bologna mit Strenge dazu angehalten. Die Schrif⸗ ten Cicero's und der römiſchen Dichter wurden nun eine verbotene Frucht, um deren Genuß er oft ausgeſcholten wurde und die er vor dem Zorne des Vaters im Verſteck hüten mußte. Dennoch als es einſt eine Scene zwiſchen beiden gab, riß der Vater alle die Bücher, die den ſchöngeiſtigen Jüngling von feinen Rechtsſtudien abzuhalten ſchienen, aus dem Verwahrſam im Bette und unter dem Bette herdor und über⸗ gab fie vor feinen Augen dem Feuer. Erſt als er ſah, wie Francesce
Ambr. Travers. p. 195) nennt den alten Lehrer Couvennole (beſſer Convenevole) da Prato. ef. ibid. p. 208. 1) Sola me verborum dulcedo quaedam et sonoritas detinebat, ut quicquid aliud vel legerem vel audirem, raucum mihi longeque dissonum videretur. 2) Er ſelbſt jagt: Sponte sua carmen numeros veniebat ad aptos: Quicquid tentabam dicere, versus erat. Filippo Villani l. c. p. 196.
16 I. Petrarca als Verehrer Virgils und Cicero’.
bitterlich weinte und gleich einem Ketzer daſtand, der ſelbſt dem Flam⸗ mentode geweiht iſt, rettete er noch einen Virgilius und die Rhetorik Cicero's vor dem Untergange: nimm jenen, ſagte er lächelnd, zu einer feltenen Erholung des Geiſtes, dieſen zum Beiſtand in den Rechtsſtu⸗ dien! Was half es? der Genius brach ſich doch ſeine eigene Bahn, warf das bürgerliche Recht bei Seite und eilte mit weiten Flügeln den Höhen des Parnaſſes zu.) Virgilius und Cicero — fie waren gerade die beiden hellen Puncte, die zuerſt wieder aus dem Nebel des Alter⸗ thums aufſtrahlten. Von ihnen ausgehend, erſchloß ſich Petrarca die neue Welt voll Schönheit und wunderbarer Weisheit. Sie ſind ihm die beiden Väter der römiſchen Eloquenz, die Augen der lateini⸗ ſchen Sprache.) Den Virgilius hat das ganze Mittelalter in Ehren gehalten, aber bald wie einen unheimlichen Wahrſager und Schwarz⸗
künſtler, deſſen man ſich zu ſpukhaften Dingen bedienen könne und bei deſſen Grabmal an der Via Puteolana der Eingeborene mit einem ge⸗ wiſſen Grauſen vorüberging, bald wie einen halben Heiligen. Petrarca, den noch Papſt Innocenz VI für einen Zauberer hielt, weil er den Virgilius leſe '), ſah in ihm den ſinnreichen, gottbegeiſterten, melodi⸗ ſchen Sänger. Cicero war bisher ein geachteter Name geweſen, aber vor ihm, darf Petrarca ſagen, hätten nur ſehr Wenige ſeine Werke ſtudirt, er habe zuerſt ſeine Verehrung in Schwung gebracht. Was Andere trocken und nüchtern hinſchwatzen, das hat Cicero geiſtreich und blühend geſagt; zum Nutzen kommt die Ergötzung und zur Majeſtät des Inhalts der Glanz und die Würde der Worte, *) Er iſt die ſtrah⸗ lende Sonne der Eloquenz, neben der ſelbſt Salluſtius, Livius und Seneca erbleichen. „O erſter Fürſt der römiſchen Wohlredenheit — ruft Petrarca aus — nicht nur ich, ſondern wir Alle danken dir, die wir uns mit den Blumen der lateiniſchen Sprache ſchmücken. Denn mit deinem Quell wäſſern wir unſre Gefilde. Gern bekennen wir, daß wir, von dir geleitet, durch dein Vorbild auf den Weg gewieſen, in deinem Namen ſelber verherrlicht, gleichſam unter deinen Auspicien zu
) Petrarca epist. rer. senil. XV, 1. Villa ni l. c. 2) Petrarca Rer. memorand. Lib. II. (Opp. p. 461); Trionfo della Fama opt. III, 16 e seg. 3) Petraroa epist. rer. senil. I, 3. a ) Petrarca de vita solitaria Lib. II. sect. VIII cp. 2; cf. Praefat. in n Epistt. famil. (Opp. p. 634).
I. Petrarca als Kuwait der Poeſte. 8 17
unſerer Kunſt ves Schreibens gekommen ſind, wie en fie auch ſei.“ 9.
Wohl hat ſich Petrarca erlaubt, an Cicero's politischem und mensch lichem Charakter ein wenig zu kritteln, da ja auch Auguſftinus in ſei⸗ nem „Gottesſtaate“ nicht Alles gebilligt, was Cicero geſagt; dennoch ift er bereit, Männer wie ihn und Seneca „gleich Gottheiten zu ver⸗ ehren.) Und dieſe Gefinnung, die ihn in frühen Jugendjahren ange- facht, bewahrte er noch als Greis. Als er im „Triumphe des Ruhmes“ die Helden des Alterthums im Gefolge der Ruhmesgöttin voranſchreiten ſah, ging der Mantuaner ebenbürtig neben Homeros, ihm folgte Mar⸗ cus Tullius, unter deſſen Füßen das Kraut grünt, an dem die Blu⸗ men und Früchte der Eloquenz ſich darlegen.
Es ſtand in der That jo, daß Begriff und Name der Poeſte erſt wieder zu Ehren gebracht werden mußten. Der Dichter, hörte man einfach behaupten, macht die Lüge zu ſeinem Beruf, und die antiken Dichter verführen noch dazu zur Frivolität, zu ſchändlichen Laſtern und zum Heidenthum. Selbſt Virgilius wurde von Manchen nicht aus⸗ genommen. Schon als Jüngling ſah, ſich Petrarca veranlaßt, gegen einen ſolchen Verächter eine Vertheidigung der Poefie und eine Ehren⸗ rettung Virgils zu ſchreiben.) Und mit demſelben Feuer nahm er ſie noch als Greis gegen diejenigen in Schutz, welche über die Frivoli⸗ täten und Obſcönitäten der römiſchen Dichter nicht hinweg konnten. Den ſtrengen Theologen ſtellte er entgegen, daß auch Hieronymus, Lac⸗ tantius und Auguſtinus ſich den redenden und dichtenden Künſten, der Philoſophie und Geſchichte ergeben und ohne ſolche Studien ſchwerlich die Ketzer ſo glorreich bekämpft hätten, daß auch die Poeſie endgültig durch einen guten und frommen Genius das Lob Chriſti und der wah⸗ ren Religion verkündigen jolle. *)
Mit hohem Stolze nannte ſich Petrarca einen Dichter, Poeta; zwiſchen einem „Gedicht“ und „Reimen“ zeg er eine ſcharfe Scheide⸗ linie. Jenes konnte die lateiniſche Sprache und die antike Form nicht entbehren und auch dem Inhalte nach wurde ſoviel Alterthum hinein⸗ gebracht als irgend möglich, Nachbildungen altrömiſcher Dichtung und unmittelbare Reminiscenzen aus ihr. Um ſo zu dichten, mußte man
) Petrarca epist. II. ad viros quosdam ex veteribus illustres. ) Petrarca epist. var. 27.
) Epist. rer. senil. IV, 4. | ) Epist. rer. senil. I. 4; XIV, II.
Voigt, Humanismus, N 2
18 I. Petrarca's Begriff von der Poeſie.
tüchtig ſtudirt haben. Die Reime waren ein gentales Jongleurſpiel mit Wörtern, Bildern und Gefühlen. Die Reime Petrarca's ſind nie ver⸗ klungen, noch nach Jahrhunderten haben Tauſende ihnen mit Entzücken ge⸗ lauſcht; die Gedichte durchblättert nur noch hin und wieder der Gelehrte, nicht um des Genuſſes willen, den er leichter und reiner am Borne des Alterthums ſelber ſchöpft, fondern wegen der Notizen, die darin verſtreut ſind, und um ſich eine Anſchauung zu bilden, die den Dichter ſelbſt gewiß wenig erbauen würde. Die Gedichte aber waren damals das neue und unerhörte Verbienft, die Brücke, die zu den herrlichen Schöpfun⸗ gen des Alterthums führte, und an ſich Schöpfungen, in denen Pe⸗ trarca einzig daſtand, durch welche er den Lorbeer auf dem Capitol verdiente. Er ſelbſt hat ſich über die Ehre, welche die Welt dem Dich⸗ ter ſchuldet, oft und feierlich genug ausgeſprochen. „Die Dichter ſtrah⸗ len im Ruhme, in ihrem Namen und in der Unſterblichkeit, die ſie nicht nur ſich ſelbſt, ſondern auch andern erwerben; denn ihnen iſt es vor andern gegeben, der Vergeſſenheit der Namen vorzubeugen. Auch die Tugend (der Tugend hafte) bedarf ihrer Hülfe, zwar nicht an ſich, aber doch deshalb, weil ſie mit den Laſtern und mit der en im Streite liegt.“)
Bei dem hohen Range, den er für den Dichter beansprucht, tft es merkwürdig, daß Petrarca über die Dichtkunſt den engherzigen Begriff beibehielt, den die Virgilius⸗Verehrung früherer Jahrhunderte mit einem myſtiſchen Chriſtenthum zuſammen erzeugt hatte. Auch er nämlich ſetzt das Weſen der Dichtkunſt in die Allegorie und ihren Endzweck in die Moral. Als Handwerkerſeelen bezeichnet er diejenigen, denen in den Werken der Poeſie der feine allegoriſche Sinn verborgen bleibt; er findet denſelben überall, zumal im Virgilins und im Texte der heiligen Schriften. „Es iſt die Bemühung des Dichters, die Wahrheit in ſchöne Hüllen zu kleiden, fo daß fie dem ungebildeten Pöbel verſchloſſen bleibt, dagegen für den geiſtvollen und gelehrten Leſer zwar mühſam zu ſuchen, aber deſto ſüßer iſt, wenn er fie gefunden.“) Go find wir in der That ſehr überraſcht, wenn wir Petrarca's Eclogen ohne beſonderes
) Lib. I. Inveetivarum contra medicum quendam (Opp. p. 1905).
) Ibid. Offenbar nach dieſer Stelle oder vielleicht von Petrarca ſelbſt iſt der Beruf des Poeten in feinem Dichterprioilegium vom 9. April 1343 (ſo in den Opp. p. 1254, richtiger vom 8. April 1341) dargelegt: Virtutem rei sub amoenis colori- bus absconditam — — altisonis oelebratam carminibus et dulois eloquii suavi- tate respergat, quae sit quaesitu difficilier magis atque inventa dulceseat.
I. Petrareca's Begriff don der Poefle. 19
Intereffe geleſen und nun von Boccaccio hören, daß er hier unter der Hülle von Hirtengeſprächen das Lob des wahren Gottes und der heili⸗ gen Trinität und zugleich ihren Zorn über die ſchnöde Lenkung des Schiffleins Petri geſungen.) Wir leſen jene Gedichte aufmerkſamer noch einmal und finden nun allerdings die Anſpielungen auf Avignon, feine Päpfte und Eardinäle, die bildliche Bedeutung von Hirt und Heerde und dergleichen mit leichter Mühe heraus. Das Geheimniß ift alſo nichts mehr, als was Petrarca unzählige Male in deutlicher, ſchlichter Proſa ausgeplaudert. Gehen wir aber mit jener Vorausſetzung an die „Africa“, fo müſſen wir unſer völliges Unverſtändniß beklagen. Viel leichter ließe ſich jene Symboliſtrung bei den italieniſchen Reimen Petrarca's durch⸗ führen, und ſchon einer ſeiner Freunde hat die Meinung aufgeftellt, unter der gefeierten Madonna Laura dürfe wohl der Lorbeer und unter diefem die Sehnfucht nach dem Dichterruhme zu verſtehen fein. Bon den „Triumphen“ iſt es gewiß, daß ſich Petrarca darin gefiel, fie mit geheimnißvollen Andeutungen auszuſtatten, nur find hier die Bezüge weniger von ſinnbildlicher Natur wie bei Dante, mit dem er vielleicht in Wetteifer treten wollte, als vielmehr Räthſel⸗ Aufgaben, die durch claſſiſche Gelehrſamkeit, verbunden mit einigem Scharffinn, ohne Schwie⸗ rigkeit gelöſt werden können. Auch kam es Petrarca ſelbſt wohl nur beranf an, die Fülle feiner hiſtoriſchen und mythologiſchen Kenntniſſe zu zeigen, wie denn überhaupt fein Stolz auf den allegoriſchen Sinn 3 Poeſien vom Beigeſchmack der Charlatanerie nicht ganz freizu⸗ ſprechen ift | Die Dichter, fagt Petrarca einmal, find ſchon felten, aber feltener noch find die Redner.) Unter Beredtſamkeit verſteht er weniger die Kunſt, durch das Wort auf einem Forum zu wirken, als vielmehr vie Fähigkeit überhaupt, feine Gedanken durch künſtlichen Wortputz eindring⸗ licher, anziehender zu machen, alſo die Wohlredenheit oder Eloquerz. Seine Abhandlungen und ſeine Briefe hielt er für nicht minder ewig als ſeine Gedichte, durch feine Proſa verdiente er den Lorbeerkranz nicht weniger. Und in der That, er hat dieſe Eloquenz aus dem Alterthum
N) De Genealogia Deorum XIV, 10. 32. und Comento sopra la Commedia # Dante cap. 1 (Opere vol. V. Firenze, 1724) p. 35. cf. Mehus Vita Ambros. Travers. p. 256. — Schon bei Petrarca’s Lebzeiten verfuchte ſich Mancher in der Erklärung ſeiner Gedichte.
*) De remedio utriusque fortunae Lib. 2: dial, 102: insignis poetarum, major oratorum raritas. EN
3°
E I. Petrarca's Latinität.
in ſein Zeitalter hinübergepflanzt, er iſt ihr Vater in der modernen Welt geworden.
Auch hier müſſen wir einem se Urtheil entgegentreten, welches ſeit 400 Jahren aus einem Buche ins andre gewandert iſt und doch zuletzt der naiven Meinung der Zeitgenoſſen gegenüber kleinlich erſcheint. Man hat nämlich über die Selbſtgefälligkeit, mit welcher Petrarca von ſeinem Stil zu ſprechen pflegt, und über den Beifall, den feine Freunde demſelben zollten, nicht genug lächeln und den Vor⸗ zug ſpäterer Zeiten nicht genug rühmen zu können geglaubt. Man hat an ſeinem Latein gemäkelt, es ſei doch zu voll von grammatiſchen Feh⸗ lern und Barbarismen, der Satzbau ſei oft noch recht unklar und un⸗ geſchickt, die Redeweiſe bald durch Alterthümeleien verziert und ver⸗ ſchroben, bald ohne alle Eleganz, die Tractate ſeien mit claſſiſchen Gemeinplätzen überfüllt, die Briefe weitſchweifig und redſelig. End⸗ lich hat man, gleichſam aus Mitleid und um den gefeierten Namen zu retten, die Schuld auf die allgemeine Geſchmackloſigkeit und Bar⸗ barei des Zeitalters geſchoben und Petrarca doch aus Gutmüthigkeit einen kleinen Antheil an dem Ruhme gegönnt, den ſeine Nachfolger eingelegt haben.) |
Wir find durchaus nicht gemeint, in Betrarca’g lateiniſcher Proſa ſtiliſtiſche Muſterſtücke finden zu wollen. Aber wir ſuchen in großen Literatoren auch keine Stilmeiſter, die für den Schulgebrauch immerhin ihren Werth haben mögen, in reiferen Jahren aber die Geiſtasentwicke⸗ lung eher hemmen als fördern. Wir ſehen im Stil den Ausdruck einer Perſönlichkeit und meſſen den Werth deſſelben nicht nach dem äſtheti⸗ ſchen Vergnügen, das er uns bereitet, ſondern nach der Einwirkung, die er oder vielmehr die Perſönlichkeit ſelbſt auf ſpätere Geſchlechter geübt hat. In dieſem Sinne war Petrarca der erſte Schriftſteller der neueren Zeit, der überhaupt einen Stil ſchrieb. Denn er ſchrieb eben frei heraus, wie ein lebhafter und angeregter Menſch ſpricht, erzählt, con⸗ verſirt. Während der ſcholaſtiſch⸗gebildete Geiſt wohlgezähmt und einge⸗
) Einige ältere Urtheile der Art werden wir im dritten Buche noch erwähnen. Sie find in derſelben Weiſe noch in den neueren Literargeſchichten nachgebetet worden. Vergl. z. B. Tirabeschi Storia della letteratura Italiana T. V. 2a edis. (Mi- lano, 1823) p. 820, wo die für die Kenntniß jener Zeit brauchbaren infinite notisie und die Aufrichtigkeit Petrarca's als Gegengewicht dienen müſſen!
) Epist. de reb. famil. VI, 4. Praefat. in Epistt. famil.: soribendi enim mihi vivendique unus finis erit.
yo.
*
I. Petrarca's Latinität und Stil. 21
ſchukt am Leitfeil der Logik geführt wird, hat Petrarca dieſe Krücken von ſich geworfen, das Wort iſt bei ihm wieder der unmittelbare Aus⸗ druck der Seele geworden. Er will ſich im Schreiben frei bewegen und gehen laſſen, er will nicht nur ſeinem Jahrhundert nützen und andere belehren, ſondern ſchreiben, um ſeinen Geiſt der drängenden Falle zu entlaften und zu erheitern, er will nicht Menſch fein und nebenbei Schriftſteller, ſondern Schreiben und Leben iſt ihm eins.) Alle feine Schriften, zumal feine Briefe, waren zunächſt für ihn ſelbft von Wichtigkeit und Nutzen. Was man als Weitſchweifigkeit und Ge⸗ ſchwätze bezeichnet hat, iſt vielmehr die behagliche Plapperhaftigkeit eines Kindes, das ſeine Freude nur an dem mühſam erlangten Gebrauch der Sprache hat und wie durch Inſtinct zu ihrer eifrigen Uebung getrieben wird. Die Fülle der neuen Anſchaunungen und Kenntniſſe, verbunden mit dem freudigen Gefühl des leichten Ausdrucks, drängt zur Mitthei⸗ lung. Da erhält jeder Einfall, das heißt der Zufall der Geiſtesope⸗ ration, den ein ſcholaſtiſcher Dogmatismus zurückgewieſen haben würde, ſofort ſein Recht. Wenn Petrarca dem Cardinal Colonna erzählen will, mit welchen Gedanken er in Rom umhergewandelt ſei, ſo fällt ihm bei dem Worte „Umherwandeln“ die peripatetiſche Schule ein und er kann nicht umhin, bei dieſer Gelegenheit ſeine Meinung über die verſchiedenen alten Philoſophenſchulen und ihr Verhältniß zur chriſtlichen Lehre darzulegen, um dann plötzlich wieder abzubrechen und von den Alterthümern Rom's weiter zu erzählen.) Gerade eines ſo beweg⸗ lichen Geiſtes bedurfte es, um mit der dürren ſcholaſtiſchen Methode zu brechen. Ihr gegenüber den freien Menſchen geltend zu machen, das war Petrarca's ſchriftſtelleriſcher Beruf, das war die edelſte Frucht feiner claffiſchen Studien.
Neben dieſem großartigen Bemühen, welches von ſeinen Zeitge⸗ noſſen bewundert, wenn auch natürlich nicht mit Reflexion ausgeſprochen wurde, ift die Latinität oder der Ciceronianismus des Stils nur ein unbedeutender Zuſatz. Jenes Streben allein würde Petrarca nicht min⸗ der epochemachend erſcheinen laſſen, wäre auch ſein Latein noch zehn⸗ mal ſchlechter geweſen. Indeß lag auch die Herſtellung einer reineren und edleren Sprache ihm am Herzen und ſo ſehr er darin übertroffen worden iſt, hat er dennoch Bewunderns würdiges geleiftet. Nur muß man ſein Latein nicht neben das eines Politianus, Bembus oder Mu⸗
) Epist. de reb. famil. VI, 2. vom Jaunar 1337.
22 I. Petrarcs's Schwärmerei für das Alterthum.
retus ſtellen, ſondern neben das mönchiſche früherer. Zeiten, welches er ſelbſt gelegentlich mit einem verkrüppelten Baume vergleicht, der weder grüne noch Früchte trage,) Man bedenke, daß er das alte Idiom eigentlich ohne grammatiſche Grundlage gelernt — denn die elementare wird man fo nicht nennen können — daß er nur allmählig in den Befig verſchiedener alter Autoren und beſſerer Handſchriften gelangte, daß er allein nach dem alterthümlichen Ausdruck, nicht nach dem des gol⸗ denen Zeitalters ſtrebte. Auch liegen ſeine Schriften in einer ſo ver⸗ derbten Geſtalt vor uns, daß ſeine Schuld und die ſpäterer Abſchreiber und Drucker für's Erſte nicht geſondert werden können. Und wenn er in ſeinen Werken oft den Rand voll Verbeſſerungen ſchrieb und gewal⸗ tig am Texte feilte, ſo iſt das eine an ſich bedeutungsvolle Erſcheinung, gleichviel was er dadurch erreichte.
Von der Freude am ſüßen Klange virgiliſcher Verſe und tulliani⸗ ſcher Rede war Petrarca ausgegangen. Die Schönheit der rhythmi⸗ ſchen Formen und der melodiſche Reichthum des claſſiſchen Latein feſ⸗ ſelten ihn immer mehr, je aufmerkſamer ſein Ohr ihnen lauſchte und je emſiger er ſich in Nachbildungen verſuchte. So mächtig war ſchon dieſe erjte Berührung mit dem Alterthum, daß feine Bewunderung ihn ganz in Feſſeln ſchlug, daß ſein Schritt wie von Geiſterhand vorwärts und immer vorwärts gezogen wurde, bis er mit ſeinem edelſten Sinnen und Trachten ganz in dieſer neuen alten Welt lebte und von hundert Zaubern in ihren Bann geſchlagen, ein ſchwärmender Verehrer ihrer Größe wurde. Was er von den Alten gelernt, war ihm mindeſtens von gleichem Werthe mit dem, was ſein Geiſt ſelbſtſtändig ſchaffen mochte, ja er würde den ihm eigenthümlichen Gedanken gern dem claſſiſchen unterordnen.) Er fühlte, daß er durch das Alterthum Alles geworden, was er war, und ſo vermengte er leicht die Hoheit des Alterthums mit ſeiner hohen Meinung von ſich ſelbſt. Er hätte ein Träumer oder ein Wahnwitzi⸗ ger werden müſſen, wenn nicht zugleich dieſes ſtarke Gefühl ſeiner ſelbſt ſich in ihm erhoben und ihn mit der Mitwelt in Verbindung erhalten
) &in Lexicon Petrarchicum, gleichſam ein ſtikiſtiſches Sündenregiſter, lieferte C. E. Chr. Schneider in feiner Ausgabe von Franc. Petrarchae Historia Juli Caesaris, Lips., 1827. Prooem. p. XXXXII sq.
) Eine merkwürdige Aeußerung in epist. de reb. famil. VI, 2: Testatus sum tamen, me nihil novum, mihil fere meum dicere, immo vero nihil alienum; omnia enim, undecunque dicimus e Bora sunt, nisi forsan abstulerit en nobis oblivio. * e = .
J. Petraven ſucht Cicers's Schriften. 2
Uötte, die verſinkende Schwärmerei durch zurückbeziehende Perſönlichkeit eufwiegend. So ging er denn mit Begeiſterung und doch auch mit nüchterner Thätigleit an das Werk, das ihm als würdigſte Aufgabe feines Meuſchenlebens erſchien, an die Neubelebung des erſtorbenen und begrabenen Alterthums.
Unter dem Himmel der Provence, wo ſein Genius erwachte, wa⸗ ven Bücher die einzigen Monumente, die lebhaft an das alte Rom er» innerten. Er wurde gewahr, wie die Schriften der Alten, in Staub und Moder verborgen und zum Theil ſchon verloren, dem vollſtändigen und ewigen Untergange unvermeidlich anheimfallen mußten, wenn nicht bald die rettenden Hände ſich zeigten. Dieſer Drang zu retten, ver⸗ einigt mit dem Wunſche des Beſitzens, warf ſich natürlich zuerſt auf die Schriften Cicero's, der mehr als andere Autoren in Vergeſſenheit geſunlen war. Noch Dante hatte nur die Bücher über das höchſte Gut, über die Freundſchaft, über das Alter, über die Pflichten, die Paradora und die Rhetorik gekannt.) Man ſieht, wie ſich die philo⸗ ſophiſchen Schriften Cicero's noch in einigem Anſehen erhielten, wäh⸗ rend die eigentlichen Fundgruben der Eloquenz völlig ins Dunkel zu⸗ ruͤcktraten. Seine Briefe waren durchaus vergeſſen. Von alten Reden las man im 12. und 13. Jahrhundert nur die catilinariſchen, die Phi⸗ Impiten, einen Theil der Verrinen, die für den mantliſchen Gefetzes⸗ vorſchlag und vielleicht einige kleinere, ſicher nicht über zwölf, und alle nur ſelten.) Welcher traurige Reſt! aber wie viel war da auch noch zu finden! und auf wie vieles Andere hat das Suchen geführt!
Schoen als Jüngling war Petrarca mit großem Eifer bemüht, die Werke Cicero's zu ſammeln; denn ſeine Vergötterung dieſes Römers wuchs durch Alles, was er von ſeinen Schriften las oder über ihn hörte. Wie groß war zum Beiſpiel feine Freude, als er fand, daß ſchon Quin⸗ tiltanus den Cicero hoch über Seneca geſtellt. Jede Andeutung anderer Autoren über ſolche Werke Cicero's, die er noch nicht beſaß, war ihm ein heftiger Sporn, fie zu ſuchen. Befand er ſich auf Reifen und ſah irgend ein altes Kloſter aus der Ferne auftauchen, ſo war ſein erſter Gedanke: wer weiß, ob hier nicht etwas von dem ſein möchte, wonach
) So ſchließe ich daraus, daß ich nur dieſe Werke in Dante 's poetiſchen und proſaiſchen Schriften erwähnt gefunden.
) Cf. Adami Clerici Flores historiarum bei Meh us Vita Ambr. Tra- vers. p. 212; B. G. Niehuhr in edit. Ci ceronis Oratiemum pro M. e et pro C. Rabirio. Romae, 1820. p. 86.
24 | I. Petrarca ſucht nach Cicero’ Schriften.
mich ſo fehr verlangt. Etwa in ſeinem 25. Jahre kam er nach Lüttich und da er hörte, daß es hier viele alte Bücher gebe, entſchloß er ſuh ſofort zum Bleiben. Zwei neue Reden Cicero's waren der glückliche Lohn: die eine ſchrieb er mit eigener Hand ab, die andere copirte ihm ein Freund, beide wurden durch ihn in Italien verbreitet.) Wie groß die Gefahr des Verluſtes geweſen, macht er dadurch anſchaalich, daß es ihm in der gewerbreichen und blühenden Stadt viel Mühe gekoſtet, etwas Tinte aufzutreiben, die noch dazu mehr ſaffranfarben als ſchwarz war.) Unaufhörlich regte er feine Freunde und Bewunderer an, in den alten Klöſtern nachzuſpüren und bei gelehrten Männern nachzufra⸗ gen. Nach Rom und Tuscien, nach Frankreich und Spanien, nach Deutſchland und Britannien ſchickte er Bitten und Mahnungen, Geld⸗ beträge, Zettel, auf denen er verzeichnet, nach welchen Schriften ſein Sinn am meiſten ſtehe. Selbſt in Griechenland fragte er nach Werlen Cicero's an, erhielt aber ſtatt ihrer einen griechiſchen Homeros. Oft hatte er nicht die geringſte Hoffnung, das Erwünſchte zu erhalten, und wollte durch fein Antreiben nur Nachforſchungen veranlaſſen; oft erhielt er nach begierigem Warten nur ſolche Schriften, die er bereits in meh⸗ reren Exemplaren beſaß.) Faſt von jeder größeren Reiſe brachte er irgend eine Schrift Cicero's mit, die er bis dahin nicht gelaunt; von andern lernte er nur den Titel kennen und den Verluſt betrauern.) An Cicero's Büchern von der Republik verzweifelte er nach langem vergeblichem Suchen. Aber die Werke „vom Troſtee« und „vom Lobe der Philoſophie “ meinte er immer noch finden zu müſſen. Letzteres las er von Auguſtinus in einer Weiſe erwähnt, die ihn auf das Höchſte geſpannt machte: wie bedeutend mußte ſein Inhalt ſein, wenn dieſer ehrwürdige Mann der Kirche geſtand, es habe ihm zu ſeiner Bekeh⸗ rung und zu ſeiner Erkenntniß der Wahrheit viel genützt. Lange hatte Petrarca geglaubt, die genannte Schrift Cicero's zu beſitzen; nur konnte er durchaus nicht finden, was Auguſtinus fo beſonders zu ihr hinge⸗ zogen haben möchte. Endlich entdeckte er in Auguſtinus' Werke von der Dreieinigkeit eine jener Schrift entnommene Stelle, von der in ſeinem Exemplar kein Wort ſtand. Der Irrthum wurde ihm nun klar:
1) Wohl in Bezug hierauf erwähnt er epist. famil. XIII, 6, daß er von ſeiner Streifpar tie durch Deutſchland die Rede Cicero's ie den Archias mitgebracht habe.
) Epist. rer. senil. XV, I.
) Epist. rer. famil. III, 18. senil. III, 9; XV, 1.
) Rer. memorand. Lib. I. (Opp. p. 447). =
I. Petrarca uud Cicero’s Schrift vom Ruhme. 25
eine fulſche Auffchrift feines Buches hatte ihn getäuſcht. Aber daß es gleichfalls von Cicero war, darüber ließ ihm "feine himmliſche, unnach⸗ ahmliche Eloquenz, keinen Zweifel. Später lernte er vermittels eines Codex, den er in Neapel geſchenkt erhielt, daß dieſes Werk, welches er Mir das „Lob der Philoſophie gehalten, nichts weiter ſei als ein Stück der Academica, und im Aerger über die Enttäuſchung erlaubte er ſich über dieſe letztere Schrift ein ziemlich geringſchätziges Urtheil.) Nicht vergeſſen konnte Petrarca den Verluſt der Bücher Cicero's „vom Ruhme“. Einſt erhielt er nämlich von Raimondo Sopranzo, einem alten Curialen, ver viele Bücher beſaß, aber als Juriſt von Fach unter den Autoren des Alterthums nur am Livius ſeine Freude hatte, einen Band vermiſchter Schriften zum Geſchenk: darunter waren Ci⸗ cero's Bücher „vom Redner“ und „von den Geſetzen“ in der mangel⸗ haften Geſtalt, in der man ſie damals allgemein las, „die beiden vor⸗ trefflichen Bücher vom Ruhme“ und einige Schriften Varro's.“) Dieſen Band und einen andern, der gleichfalls Schriften Cicero's enthielt und Petrarca ein theures Erbſtück von ſeinem Vater war, lieh er einſt ſei⸗ nem alten Lehrer, von dem wir oben erzählt. Die Armuüth verleitete dieſen zur Unehrlichkeit: er verpfändete die Bücher, gab Petrarca auf ſeine Mahnungen hinhaltende Antworten, ſchämte ſich auch wieder, die Bücher von ihm auslöſen zu laſſen, und war plötzlich, während Pe⸗ trarca an den Quellen der Sorgue verweilte, aus Avignon verſchwun⸗ den. Er war nach feiner tusciſchen Heimath zurückgezogen und ließ nichts mehr von ſich hören. Die geliehenen Bücher aber blieben allen Nachforſchungen zum Trotz verloren und die „vom Ruhme“ für im⸗ mer. — Petrarca war überzeugt, ſie beſeſſen zu haben. Wir indeß können uns des Gedankens nicht erwehren, auch hier möchte eine falſche Aufſchrift die Urſache ſeiner Täuſchung geweſen ſein. Denn der Beſitz dieſes Buches fällt in ſehr frühe Jahre, von denen Petrarca gelegent⸗ lich geſteht, genauer gekannt habe er damals von Cicero wenig mehr als einige Reden und Briefe. Später konnte er ſich des Inhaltes je⸗ ner Schrift nicht mehr im mindeſten 1 ein Beweis, daß er
) Er nennt ſte epist. rer. senil. XV, 1. ein subtile opus magis quam ne- cossarium aut utile.
) Ganz leichtfertig iſt der Bericht Manetti's, der fen Leben Petrarca’s um die Mitte des 15. Jahrhunderts ſchrieb, als habe dieſer die Bücher vom Ruhme in extremo fere Germaniae angulo abstrusos gefunden, Aue Mehus (Vita Aube. Travers. p. 216) die Sache hingehen büßt.
26 | I. Petrarca ſucht nach Cirero's Schriften.
niemals mit ihr vertraut geweſen. Von der Exiſtenz jener Bücher de gloria konnte er ans Cicero's Briefen und auch aus dem vielgeleſenen Buche über die Pflichten wiſſen. Wie leicht ſieht man ein Geſpenſt, wenn man nur erſt von feinem Daſein überzeugt iſt! Wäre Petrarca der Sache gründlicher nachgegangen, wer weiß, ob ſich die Bücher vom Ruhme nicht in einige Abſchnitte der Tusculauen aufgelöſt hätten.) Die willkürliche Betitelung der Abſchreiber nach irgend einem Theile des Buches, der ihnen gerade wichtig erſchien, hat mehr als einmal irre geleitet.) |
Man hat ſich nicht einigen können, welche Werke Cicero's durch Petrarca wiederaufgefunden ſeien. Es iſt allerdings ſchwer, den Bes griff des Findens feſtzuſtellen, wenn man nicht weiß, welchen Grund⸗ ſtock ciceroniſcher Schriften man als bekannt voransſetzen darf. Bei einzelnen Schriften iſt es offenbar ſo ergangen, daß ſie aus irgend einer ſtillen Kloſterbibliothek an das Tageslicht gebracht, einmal oder ein paar Male copirt wurden und dann wieder in eine gewiſſe Vergeſſenheit zurückſanken, aus der fie von Neuem hervorgezogen, alſo zum zweiten Male entdeckt werden konnten. Auch war das Verdienſt des Entdeckers meiſtens doch nur das des Verbreiters, und als neu Tomate man mit einigem Recht doch nur diejenigen Schriften bezeichnen, deren Andenken völlig verſchwunden geweſen oder die in andern Ländern . und nach Italien verpflanzt wurden.
) Z. B. Tuscul. Lib. I; III, 2; V, 15. etc.
) Petrarca epist. rer. senil. XV, 1; ef. epist. 2 ad viros ex veteribus illustres. Da auch Schriften Varro's als in jenem Codex befindlich erwähnt wer- den, fo gründet ſich vielleicht auch nur darauf die Erinnerung Petrarca's, deffen An- tiquitates rerum humanarum et divinarum vormaleinſt geſehen zu haben? Epist. 7. ad vir. ex veter. ill. (Opp. p. 785): ilicet divinarum et humanarum rerum libros — — puerum me vidisse meminerim. Noch unſicherer lautet gar eine Variante dieſer Stelle, die Mehus Vita Ambr. Travers. p. 216. aus einem floren⸗ tmiſchen Codex mittheilt: Nullae tamen exstant seu admodum lacerae tuoram ope- rum reliquiae, e quibus aliqua pridem vidi et reeordatione torqneor summis, ut ajunt, labiis gustatae dulcedinis, et ea ipsa, praecipue divinarum et huma- narum rerum libros — — adhuc alicubi latitare suspicor ete. Jedenfalls geht auch hieraus hervor, wie dunkel Petrarca der Inhalt jenes Codex vorſchwebte; wie⸗ derum if ihm nichts, durchaus nichts aus Varro's Werken im Gedächtmiß geblieben. — Ebenſowenig Werth legen wir auf Petrarca's Notiz in Ber. memorab. Lib. I. ch. 2 aus welcher man geſchloſſen hat, daß er die Epigramme und Briefe des Kaiſers Auguſtus noch gekannt habe. Es iſt wieder eine Jugenderinnerung, die ihm im bo» hen Alter vorſchwebte: quod opus inexplicitum et carie semeaum adolessenti mihi admodum in manus venit frustraque postmedum qugesitum sto.
I. Beraten md Cicere's Briefe. 27
"Mo kt nun im Allgemeinen kein Zweifel, daß Ciceres Werke, auch dit philsſephiſchen und rhetoriſchen, durch Petrarca's Anregung mendlich mehr coptrt und geleßen wurden als vorher; davon zeugt ihre Berbreitung im Beginne des folgenden Jahrhunderts. Aber um zwei Alain derſelben hat Petrarca ein namittelbares Verdienſt, um die Raden und Briefe. inen Codex, der eine Reihe von Reden enthielt, cepirte er Jahre lang mit eigener Hand, damit ihm nicht die bezahlten Abſchreiber den Text verdürben.) Mehrere einzelne Reden hat er auf Reifen geßunden, doch beſaß er noch lange nicht alle diejenigen, die wir jetzt lefen. Aber weichen Triumph empfand er, als ihm 1345 zu Ve⸗ rena die ſen dem 10. Jahrhundert völlig verschollenen ſogenannten fa⸗ miliären Briefe Eicero's in die Hand fielen!) Zwar beſaß er wahr⸗ ſcheinlich damals ſchan die beiden aubern Sammlungen dießer Briefe und hatte bereits die tulläaniſche Epiſtolographie in die neuere Literatur eingeführt, in der fie eine großartige Rolle zu ſpielen berufen war, eber der neue Fund gab dieſem wichtigen Belebungsmittel des huma⸗ niſtiſchen Berkahrs ſofort einen erhöheteren Schwung und hat fo eine mumehbere Wirkung geübt.
Wir haben den Cufer, mit dem ſich Petrarca gerade Cicero's Schrif⸗ ten winmete, nicht hne Grund weitlänfiger dargelegt; denn von Cicero ans, darf mam faft ſagen, erſchloß ſich ihm das liebende Verſtändniß der andern Autoren des alten Rom. Aus Cicero's Academica lernte er Varro ſchätzen, in den Officten las er Ennius' Namen zum erſten Male, aus den Tusculanen lernte er Terentius lieben u. ſ. w.) Jagte
) Auch einen Virginus, von Petrarca's eigener Hand geſchrieben, bewahrt die Ambroſtana.
) Petrarcaepist. 1. ad vir. ex veter. ill. — Blond us Italia illustr. (Opp. Basileae, 1599. p. 346) giebt, wohl durch irgend ein Verſehen, Vercelli als den Fund⸗ ort an. Welche Brieffammlungen Cicero's Petrarca überhaupt gefunden, iſt jetzt wohl mit Entſchledenheit zu befiimmen. Er kannte ohne Zweifel die fogenannten ſamilikren⸗Briaße (ad di versos), welche der veronteſer Coder enthält, aber nach ſeinem Werke de republica optime administranda (Opp. p. 419) auch die ad Quintum fra- trem und ad Atticum gerichteten, wogegen die Nachricht des Blondus (a. a. O.) in ſich zuſammenfälkt, als habe die ad Atticum ein Unbekannter aufgefunden. In der Apologia c. Galli cujusdam calumnias (Opp. p. 1195) ſpricht Petrarca bereits von tria volumina epistolarum, und daß er fie wirklich gefunden und copirt hat, be⸗ weiſen auf das Klarſte die beiden in der Mediceo⸗Lautentiana aufbehaltenen Codices. ef. Mehus Vita Ambr. Travers. p. 213 sq. 220. Jahrbücher f. Philologie und Paedagogik herausg. von Jahn. Jahrg. I (1826) Bd. II. Heft 2. S. 291.
) Epist. famil. IIl, 18.
28 I. Petrarea und feine Wöſtothek.
er auch vorzugsweiſe den vermißten Schriften Cicere’s nach, ſo bildeten doch die römiſchen Claſſiker in feiner Phantaſie bereits eine Gefammtt⸗ beit und jede Lücke in derſelben erſchien ihm als ein ſchmerzlicher Ver⸗ luſt. Wie hat er ſich nach der zweiten Decade des Livius abgemiht, als er die erſte, dritte und vierte beſaß, wie bedauerte er den Unter⸗ gang der Hiſtorien des Salluſtins ), wie quälend blieb ihm der Ge⸗ danke, Varro's Antiquitäten einft befeffen zu haben und 1 mehr 8 den zu können! ng
Es iſt wohl begreiflich, wie lieb dem Beſttzer eine Semlung von Büchern wurde, die ſo mühſam geſucht, erworben und zuſammengebracht werven mußten. Erſt im Privatbeſitz wurde das geiſtige Gut, welches in ihnen lag, ein flüſſiges, es verkehrte gleichſam mit der freien Luft und ward fruchtbar durch die Mittheilung an Freunde in der Nähe und Ferne. Bücher, ſagt Petrarca, ſeien feine. unerſättlichſte Begierde, ſie würden ihm wie ein lebendiger Umgang, wie ſprechende Freunde.) Bei ihnen ſuchte und fand ſeine Seele, auch als er manches andere Streben als Täuſchung und Eitelkeit erkannte, immer ein ſtilles Afyl. Eine ſchöne, wenn auch unhaltbare Tradition, daß man ihn an feinem letzten Lebensmorgen in ſeinem Studirzimmer und über einem Buche eingeſchlummert gefunden. Seine Sammlung war die erſte moderne Bibliothek. Immer waren ihm Peiſiſtratos und Ptolemäes Phitadelphes unter ihren Bücherſchätzen viel edler erſchienen als Craſſus unter feinen Reichthümern. Er hatte einſt den Plan, daß ſeine Bucher, zu denen er eben noch die Boccaccio's zu erwerben wünſchte, unzerftrent „zu ſei⸗ nem ewigen Angedenken“ an einem frommen Ort aufgeſtellt werden ſollten.) Iſt gleich dieſer Plan und auch ein ſpäterer, nach welchem ſeine Bücher der Republik Venedig zufallen ſollten, nicht zur Ausführung gekommen, iſt auch feine Sammlung nach feinem Tode verſchleudert worden, ſo ging doch jener Gedanke ſeitdem nicht mehr unter und man⸗ cher edle Schatz der claſſiſchen Literatur wurde durch ihn gerettet. In gleicher Weiſe hat Petrarca auch andern Schätzen des Alterthums ein forſchendes Auge zugewendet und den Sinn für ihre Erhaltung geweckt. Er konnte Karl IV. einige Münzen römiſcher Kaiſer als Denkmale
1) Rer. memorand, Lib. I (Opp. p. 447. 448). ) Epist. rer. famil. III, 18. ) Epist. rer. senil. I, 4 an Boccaccio.
1. Petraten und Hameros. 29
feiner Vorfahren zeigen, er war, fo. viel wir wiſſen, der erſte, der alte Münzen und Medaillen ſammelte.)
Ein Bewunderer Petrarca's am Hofe von Byzanz, Nikolaos Si⸗ geros, ſchickte ihm ein Exemplar der Geſänge Homers als Geſchenk. Trotz dem kirchlichen Schisma und trotz dem durch Jahrhunderte ein⸗ gewurzelten Haſſe reichen ſich hier Orient und Occident zum erſten Male wieder die freundſchaſtliche Hand und zum Bindemittel wird der ehrwürdige Sänger von Jlion. Er iſt gleichſam der erſte Flüchtling, der vor der drohenden Türkenbarbarei im Abendlande Schutz ſuchte, und trugen ihn auch nicht Engelshände herüber wie das Gnadenhäuschen von Loreto, ſo war es doch eine ähnliche Verehrung, mit der Petrarca ihn aufnahm. Dieſer einzelne Vorfall iſt Beginn und Typus einer literariſchen Wanderung von unberechenbaren Folgen: die helleniſche Literatur, mit dem Untergange bedroht gleich dem byzantiniſchen Staats⸗ körper, ſuchte und fand in Italien ein liebevolles Aſyl. Man hatte hier gelernt, daß ſie die Mutter und das Vorbild der römiſchen ge⸗ weſen; ſo galt es alſo fortan, auch zu dieſer Quelle des Schönen vor⸗ zudringen, die griechiſche Sprache zu lernen oder fich doch ihre Schätze durch Ueberſetzungen anzueignen.
Petrarca machte den Verſuch. Sein Lehrer Barlaamo — wir ſprechen noch von ihm — war ein aufgeblaſener, geſchmacklofer Theo⸗ loge, der zwar die griechiſche Sprache in Konſtantinopel gelernt, aber nicht im Stande war, ſeine Gedanken in der lateiniſchen auszudrücken. Auch genoß Petrarca nur wenige Lectionen bei ihm, er kam nicht über die Elemente hinaus.) Und dennoch iſt er mit ſeinem Homeros, den er kaum leſen konnte, in der Hand, der anregeudſte Lehrer des Grie⸗ chiſchen geweſen. Er ſah das Buch mit Entzücken an, umarmte es und wußte doch nur, wie hoch die Römer, ein Cicero, Horatius und Plinius, dieſe Gefäuge gehalten.) Schon beſaß er mehrere Schriften Platon's in griechiſcher Sprache; der erſte der Dichter, ſagt er, und der erſte der Philoſophen hätten bei ihm Wohnung genommen. Er faßte den Muth, jenen Sigeros auch um die Werke des Heſiodos und des Euripides zu bitten, und gab die Hoffnung nicht auf, noch
1) Epist. rer. famil. X, 3.
) De ignorantia sui ipsius (Opp. p. 1162); Mehus Vita Ambr. Travers. p. 220.
) Rer. memorand. Lib. II (Opp. p. 464); Petrarca's Antwort an Nik. Si⸗ geros epist. rer. variar. 21. vom 10. Jauuar (1354).
80 I. Petrarea unter den Ruinen des alten Rom.
einſt im hoheren Alter Griechiſch zu lernen. Zunchſt erhielt Bocenecio durch ihn den Anſtoß: auf ihn wurde ver ſehniiche Wunſch verpffanzt, den gefeierten Homeros in lateiniſcher Sprache zu besitzen.) Wir werden ſehen, wie dieſer Wunſch noch nach hundert Jahren in den Freunden beider Literaturen als ein Ideal fortlebte, wie Italkener nach Byzanz hinüberſchifften und Byzantiner nach Italien kamen, fene um zu lernen, dieſe um zu lehren, wie Alt und Jung Griechiſch treibt und wie der Genius des alten Hellas, einmal durch nn herbeibeſchwo⸗ ren, nicht mehr zur Ruhe geht.
Seit ſeiner Jugend hatte Petrarca der Wunſch durchgtagt, Nom zu ſehen. Er wurde ihm im Jannar 1337 erfüllt. Wie ein dieſer Welt Entrückter wandelte er zwiſchen den ſieben Hügeln umher, Alles fand er wieder, wovon er bei den Alten geleſen, Alles von ver Königs⸗ burg Evander's und der Höhle des Cacus bis zu den Stätten, we Pe⸗ trus und Paulus den Märtyrertod erlitten. Nur ſeine Phantaſtie war geſchäftig, ihm die Trümmer zu deuten, die neuen Römer konnten es nicht; Aberglauben und Unwiſſenheit umdunkelten ihnen die Werke ih ter Ahnen. Nirgends, rief Petrarca aus, wird Rom weniger gekannt als zu Rom felbit.”) Es war noch die alte Weltſtadt und ſie war es Boch nicht mehr. Die alten Paläſte, in denen einſt „die ungeheuren Männer“ gewohnt, ſah Petrarca verfallen, die Tempel und Triumphe bogen eingeſtürzt, die Stadtmauer zerbröckelt. Dieſe Römer ſchämten ſich nicht, mit den ehrwürdigen Trümmern ſchnöden Handel zu treiben, mit den marmornen Säulen, Tempelſchwellen und Grabesdenimclern das weichliche Neapel ausſchmücken zu laſſen. Auch die letzten Trüm⸗ mer, meinte er, würden bald verſchwunden ſein.) Er rief vie avenio⸗ nenſiſchen Päpſte zum Mitleid für die hinfinkende Tiberſtadt auf.) Dieſe erſchien ihm wie eine gealterte Matrone mit grauem Haar, blaß und kränklich von Geficht, mit zerriſſenem Gewande und dennoch mlt
) Epist. de reb. senil. III. 6; V, 1; VI, 2; XI, 9. ) Epist. de reb. famil. VI, 2 an Cardinal Giovanni Colonna. ) Ad Nicolaum Laurentii de capessenda libertate hortatoria (Opp. p. 596); epist. metr. II, 13: Quanta quod integrae fuit olim gloria Romae, Reliquiae testantur adhuc, quas longior aetas Frangere non valuit etc, Funditus ita ruent (labentis patriae fragmenta) menibus convulsa nefandis. ) Epist. metr. I, 2. Benedicto XII; II, 5. Clementi' Vi et al.
I. Petrarca und Cola di Nienzo. 31
ungebeuztem Muthe und voll ehrwürdiger Erinnerungen.) „Aber wer lann zweifeln, daß die alte Tugend Roms ſofort wieder auferſtehen wird, wenn Nom anfängt, ſich ſelber zu kennen.“)
Dieſes prophetiſche Wort ſah Petrarca in Erfüllung gehen durch das Unternehmen des Cola di Rienzo. Die politiſche Erſchütterung, die Rom und Italien durch daſſelbe erfuhren, war wie das Brauſen des Sturmes, lärmend und erſtaunlich, hier und dort zerſtörend, aber endlich doch ſpurlos vorübergehend. Dagegen der Geiſt, der während dieſes Sturmes durch die Gemüther der Menſchen rauſchte, blieb lange im Andenken und iſt auch nicht wieder verſchwunden. Es iſt derſelbe, in deſſen Namen Petrarca ſprach und ſchrieb. Darum die wunderbare Berwandtſchaft zwiſchen beiden Perſönlichkeiten; fo verſchieden ihr Le⸗ benslauf und ihre Wirkungsſphäre, ſo verkörperte ſich doch in beiden dieſelbe Idee. Es iſt wahrſcheinlich, daß durch Petrarca's Schriften der zündende Funke in Cola's Bruſt geworfen wurde, gewiß, daß zu Avignon ein Austauſch republicaniſcher Gedanken zwiſchen Beiden ſtatt⸗ fand.) Ihre Wege gingen dann nur ſcheinbar auseinander. Während Petrarca in der weichen Luft der Provence dem Wohlklange der tullia⸗ niſchen Rede lauſchte und ſich in ſeine Bücherwelt einſpann, las Cola in Rom den Livius, Salluſtius, Valerins Maximus und fühlte ſich ſelber auf der Bühne, auf welcher ihre Erzählungen vom alten Rom ſpielen. Niemand wußte beſſer als er die alten Inſchriften zu leſen, die Statuen und Ruinen der Weltſtadt ſelbſt und ihrer Umgegend zu deuten. Er würde vielleicht als Alterthumsforſcher und Schriftſteller einen Namen erworben haben ), nur daß es ihn trieb, fich im öffent⸗ chen Leben hervorzuthun und als Redner vor dem Volke Beifall zu erndten. Ganz wie Petrarca ging er von der Vorſtellung des alten Rom aus und ſah, mit dieſem Maaßſtab in der Seele, auf die Römer der Gegenwart. Wo ſind jetzt jene edlen Römer, fragte er, wo iſt
) De pacificanda Italia Exhortatio ad Carolum IV.
) Epist. rer. famil. VI, 2.
) Petrarca ad Nicol. Laurentii hortatoria (Opp. p. 595): Testis ego sibi sum, semper eum hoc, quod tandem peperit, sub praecordiis habuisse.
) Der Verfaſſer der Vita di Cola Rienzo (Historiae Romanae Fragmenta) bei Muratori Antiquit. Ital. T. III. nennt ihn nutricato de latte de Eloquen- tie, dono Giramatico, megliore Rettuorico, Autorista bravo. — Petrarca ſagt von ihm epist. rer. famil. XIII, 6: Nyeolaus Laurencii vir facundissimus est et ad persuadendum effieax et ad oratoriam promptus, dietator (litterarum) quoque dulcis ac lepidus non multe quidem sed suavis coloratequte senteneie.
32 I. Petrarca und Cola di Nienzo.
ihre erhabene Gerechtigleit? o könnten wir. doch zu ihrer Zeit leben! Er konnte bitterlich weinen und andre zu Thränen rühren, wenn er das geſunkene und geſchändete Rom beklagte. Von dieſem Gefühl, von einer traumhaften Sehnſucht nach dem Glanze der Freiheit und Tu⸗ gend, in welchem ihm die römiſche Republik leuchtete, wurde er auf ſich als den Herſteller dieſer Idealwelt, als den Befreier Roms und Italiens geführt.) Bald ſchwebte ſeinem wüſten Hirn ein Brutus und ein Volkstribun vor, dann wieder Roma als die Beherrſcherin der Welt und ſo ſprach er auch gern und mit Feuer von Julius Cäſar.) Ganz unklar war ihm die Grenze, bis zu welcher ſeine redneriſche Schwär⸗ merei reichte und auf welcher das eitle Hervordrängen ſeiner Perſön⸗ lichkeit begann; daher beging er auf dieſer Grenze ſeine lächerlichſten Albernheiten.
Um aber die Begeiſterung zu verſtehen, mit welcher Cola's erſtes Auftreten nicht nur in Rom und Italien, ſondern überall, wohin nur ſein Ruf gelangte, begrüßt wurde, müſſen wir manches Moment in Rechnung bringen, welches unſerm Gefühl, die wir den Ablauf dieſer und ähnlicher Begebenheiten kennen, freilich ſtark verkümmert wird: zunächſt alſo die völlige Neuheit des Ideals, die jugendliche Schnellkraft der erſten Schritte Cola's, die ihn aus der Ferne als einen hochherzi⸗ gen Freiheitshelden, ja als Erretter der Menſchheit erſcheinen ließ, und dann den Glorienſchein Roms, der gleichſam zum Hohne der avenio⸗ nenſiſchen Päpſte aus dem längſt verſunkenen heidniſchen Alterthum aufleuchtete. Petrarca berichtet uns, wie man ſelbſt in Avignon dachte und ſprach: die Briefe Cola's, die an die Curie gelangten, wurden ſo⸗ fort abgeſchrieben und verbreitet, als kämen ſie vom Himmel; man wußte nicht, ob man die Thaten oder die Reden des Tribunen mehr bewundern ſolle, man nannte ihn einen Brutus, weil er Rom die Frei⸗ heit gegeben, und einen Cicero, weil aus ſeinen Worten die hochherzige Majeſtät des römiſchen Volkes ftrahle. °)
1) Vergl. ſ. Schreiben an Karl IV von 1350 bei Papen cordt Cola di Rienzo Urk. 13. p. XXXIII: nichil actum putavi, si que legendo didiceram, non ag- grederer exercendo etc.
) Vita di Cola Rienzo I. c. p. 399.
) Petrarca an Cola bei de Sade Memoires sur la vie de Frangois Pe- trarque T. III. Pieces justificatives n. XXXI; Apologia contra Galli cujusdam calumnias (Opp, p. 1181). Einen Brief des Tribunen an Petrarca, der Papencorpt entgangen, bezeichnet Mehus Vita Ambr. Travers. p. 246. |
1. Petrarca und Cola di Rienzo. | 33
Petrarca ſelbſt aber war der volltönendſte Herold dieſer Begeiſte⸗ rung, er war erſtaunt und erſchüttert wie einer, dem plötzlich ein glück⸗ licher Traum in Erfüllung geht. Aus dem ärmlichen und nüchternen Zeitalter ſah er wieder einen Helden emporſteigen, wie er ihn unter ſeinen Büchern geträumt, und Rom von Neuem zur Königin der Welt erheben. Er nannte ihn einen dritten Brutus, einen Camillus, einen neuen Romulus. Du ſtehſt auf einer hohen Warte, rief er ihm zu, Gegenwart und Zukunft finden kein Ende deines Ruhmes! ') Er ſah in der neuen Republik „eine Umwandelung des öffentlichen Weſens, den Anfang des goldenen Zeitalters, eine andre Geſtalt des Erdkreiſes.“) Der Glückwunſch, den er an die „ruhmreichſte Siebenhügelſtadt“ und an ihren Tribunen richtete, eine grüßende Freiheitsrede, zeigt uns recht dentlich, wie er nur mit ſeinen aus Livius genährten Phantaſien poli⸗ tifirte, wie er ſich als Zuſchauer aus weiter Ferne in unermeßlichen Hoffnungen erging.)
Dieſer jubelnden Erwartung entſprach dann freilich die bittere Ent⸗ täuſchung, die Niedergeſchlagenheit, als Cola immer deutlicher durch die Maske des Alt⸗Römers den eitlen Narren durchblicken ließ und fein eigenes Werk mit dem Fluche des Lächerlichen ſchändete. Es wurde Petrarca ſchwer, dem ſeligen Traume zu entſagen und an die Wahr⸗ heit zu glauben. Er erhielt eine Abſchrift von einem der pomphaften und thörichten Schreiben des Tribunen. „Ich erſtarre, ich weiß nicht, was ich antworten ſoll. Ich erkenne das Geſchick unſers Vaterlandes, und wohin ich mich wende, überall finde ich nur Grund und Stoff zu Klagen. Wird Rom zerriſſen, wo bleibt Italien? und wird Italien in Schande getreten, welches Leben bleibt mir? Mögen bei dieſer allge⸗ meinen und beſondern Trauer die Einen Geld, die Andern Körperkraft, die Einen Macht, die Andern guten Rath beiſteuern; ich wüßte nichts, was ich geben könnte, außer — Thränen.“
Nach Rom zu eilen und ſelber Hand ans Werk zu legen, war Pe⸗ trarca's Sache freilich nicht. War er doch derſelbe eitle Schwärmer im ſtillen Studirzimmer, der Cola in ſeinem phantaſtiſchen Unternehmen war. Darum wußte er ihm auch jetzt nur mit blaſſen Gemeinplätzen zu rathen,
) bei de Sade l. e. ) Epist. 8. tit. 4. | ) Ad Nicolaum Laurentii hortatoria (Opp. p. 595 sq.) ) Epist. rer. famil. VII, 5. Voigt, Humanismus. 3
34 I. Petrarca und Cala's Niedergang.
er möge ſich nicht dem ſchlechteſten Theile des Volkes in die Arme werfen, ſeine Tugend und ſeinen Ruhm wahren, lächerliche Narrheiten meiden und dergleichen.) Mit Cola's Flucht aus Rom war er ſehr unzufrieden: nach ſeinem Geſchmack hätte der Tribun, ſtatt als Bitten⸗ der vor dem Böhmenkönige und als Gefangener vor dem Papſte zu Avignon zu erſcheinen, einen ruhmvollen Tod auf dem Capitole vor⸗ ziehen ſollen. Dennoch will er ſich, ſowie er einſt geglaubt, an dem Ruhme Cola's einen ehrenvollen Antheil zu nehmen, wenn er ihn durch Schriften anſpornte und entflammte, auch jetzt feiner früheren Begeiſte⸗ rung nicht ſchämen. Er kann den nicht verachten, auf den er ſeine letzte Hoffnung für die Freiheit Italiens geſetzt, der dem Gefühle ſeines Buſens den Ausdruck der That gegeben. „Wahrlich — ruft er bitter aus — ein Verbrechen, des Kreuzes und der Geier werth, daß es einen Römer ſchmerzte, wenn er ſeine Vaterſtadt, die dem Rechte nach die Herrin Aller iſt, als die Magd der elendeſten Menſchen ſah!“ — „Wie auch das Ende ſein mag, noch kann ich nicht anders: ich muß den Anfang bewundern!“ ) Und auch jetzt noch rief Petrarca die Rö⸗ mer auf, ihrer Majeſtät zu gedenken, wenn nur noch ein Tropfen des alten Blutes in ihnen ſei, die einmal erworbene Freiheit nicht wieder aufzugeben und ſich für die Loslaſſung des um ſie hochverdienten Tri⸗ bunen zu verwenden. Er ſelbſt wolle ſich nicht weigern, für die Wahr⸗ heit zu ſterben, wenn fein Tod der Republik zu nützen ſcheine.)
Allerdings halfen der Republik und ihrem Tribunen weder die Thränen Petrarca's noch jetzt feine Anbietung eines Vaterlandstobte, doch bleibt es von eigenem Intereſſe, wie der Dichter ſich fo Erampf- haft noch an die proftituirte Sache der römiſchen Freiheit klammaerte. Es zeigt uns den congenialen Zug, der ihn mit Cola verknüpfte, und fanden wir dieſen bisher nur in der gemeinſamen Schwärmerei für das römiſche Alterthum, fo gedenken wir in der Folge, ſobald erſt Pe⸗ trarca's Seele noch von einigen Seiten beleuchtet iſt, auch auf Cola noch einmal zurückzukommen und den verunglückten Freiheitsmann mit dem geprieſenen Weltweiſen in weitere Parallele zu ſtellen.
Wir müſſen uns eine Zeit vorſtellen, in welcher die einfache Exfah⸗ rung, daß jemand ein großer Gelehrter und doch ein ſchlechter Staatsmann
) Epist. rer. famil. VII, 7 an Cola vom 26. Novemb.
) Petrarca an Francesco di Nello, dat. Vaucluſe 12. Auguſt 1352 in Epist. rer. famil. XIII, 6, bei Papencordt Urk. 28. LXXVIII.
) Epist. 8. tit. 4.
I. Perarca abs Anwalt der römiſchen Freiheit. 35
fe: Wige, noch nicht gemacht, das heißt noch nicht beobachtet, in wel⸗ cher man an die Geſchäftsführung der Geiſtlichen völlig gewöhnt war, in welcher man die populärſte Macht, die Hierarchie, ſtets mit weit⸗ ausgeſpaunten Theorien ihre Politik treiben ſah. Erſt dann wird es uns verſtändlich, wie Petrarca ſich auch im Staatsweſen für einen der Weiten: und Uufehlbaren halten, wie er, was viel wunderbarer iſt, von fo Vielen, ja im Allgemeinen, dafür gehalten werden konnte. Daß Cola's Unternehmen, dem er einſt freudig zugejauchzt, wie ein Poſſen⸗ ſpiel abgelaufen, daß er ſelbſt als der literariſche Herold jener komö⸗ dienhaſten Republik feinen Antheil an allen ihren Ausſchweifungen und Lacherlichkeiten hatte, machte ihn nicht im mindeſten irre. Er blieb überzeugt, daß die Schuld des Mißlingens nur an Cola's menſchlichen Schwächen gelegen, ja er genoß das beruhigende Bewußtſein, immer zur Mäßigkeit und Gerechtigkeit gerathen zu haben, und ſo ſah er die literariſchen Thränen, die er der Tribunenherrſchaft nachzuweinen pflegte, ganz erufiheft als den würdigen Tribut an, den ein edler Römer fei- nem Baterlande zollte. |
Dem Bürgerrechte, welches Petrarca bei feiner Dichterkrönung auf dem Capitol ertheilt worden, glaubte er ſich für ewig verpflichtet. Am war, als wenn Roma nach dem Tode des Tribunen auf ihn lliele wie sine gekränkte Mutter auf ven ſtarken Sohn, als ſetze fie ihre letzte Hoffnung darauf, daß er mit weiſem Rath und mit feinem ge⸗ faerten Nen für fie in die Schranken trete. So fühlte er ſich ge⸗ beängt, für fein Vaterland wenigſtens das Wort zu ergreifen, da er ihm durch Thaten nicht helfen könne. Der Papft hatte eine Commiſ⸗ fi: von vier Cardinälen ernannt, um die zerrüttete Organiſation des viarischen Gemeinweſens herzuſtellen und auszubeſſern. Un. fie richtete Petrarea zwei Deukſchriften, in denen feine aus Livius geſchöpfte Weis⸗ heit es unternahm, der unclaffiſchen Bildung jener Prälaten auf den rechten Weg zu helfen.) Nichts zeigt uns deutlicher den Dünkel und zugleich die Unfähigkeit Petrarca's, die reale Welt von der Welt feiner Studien zu ſcheiden. Die Hauptfrage war, ob zur Stadtbehörde nur Nobili oder auch Bürger zugelaffen werden ſollten. Petrarca nun ſpricht ea. geraden aus, daß man, felle Rom in feinem Elend geholfen wer⸗ den, das Beiſpiel derjenigen Zeit vor Augen nehmen müſſe, in welcher
y Die Denkſchriften vom 18. und 24. Novemb. 1351 in Epist. rer famil. XI, 16. 17, verbeſſert bei Papencordt Urk. 29. 30. p. LXXXI 34.
8
36 J. Betraren als Anwalt ber römischen Freiheit.
die Stadt ſich „aus Nichts zu ven Sternen erhob.“ us beleben Grundſatz ſuchte er der Commiſſton einzuprägen: kein Name tet: voll⸗ tönender (sonantius) als der der römiſchen Republik, der bloße Nam der alten Königin der Welt müſſe noch Achtung auch für die Nou in Trauer gebieten. Das Volk von Rom, die Bürgerſchaft — er ſagt nicht, welche Claſſen er ſich darunter vorſtellt — erſcheint ihm als die alte Plebs, die Nobili bezeichnet er als „fremde Tyrannen“ voll Stolz und Räuberſinn. Dieſer Adel mißbrauche die allzu große Demuth des römiſchen Volkes und behandle es, als ſeien es gefangene Punier odor Cimbern. Man wiſſe, daß er die Orſini nicht haſſe, die Colonna fo⸗ gar liebe und verehre, aber theurer ſeien ihm das Gemeinweſen, Rom und Italien. Wie könne man nur fragen, ob römiſche Bürger in den Senat von Rom gehörten! Sie müſſen ihn vielmehr allein oder doch vorzugsweiſe ausmachen und die fremden Adelsgeſchlechter können hoch ſtens geduldet werden. Dafür beruft ſich Petrarca anf einen Ausſpvnch des Manlius Torquatus, und wie er dem Abel bes 5 vie Valerius Publicola, Menenius Agrippa, Cincinnatus, Fabricit rius als Muſter vorhält, ſo geht ihm der Pöbel Roms, ber feine Würde eben erſt unter Cola di Rienzo gezeigt, und der liwianiſche Po⸗ pulus Romanus in einen Begriff zuſammen. Wie fellte das xöimifche Volk, ruft er aus, einſt Herrſcher über alle Völler, nicht auf ſeinem Capitol, auf dem es den Senonen trotzte, wo es dis gefangenen Könige hinter dem Triumphwagen ſah, wo es die demüthigen Gefandten frerr⸗ der Völker anhörte, wo es übermüthigen Bürgern den Nacken beach, wie ſollte es da nicht an der Verwaltung des Staates Antheil haberrt Das Volk des Mars, das in der Welt nimmer ſeinesgleichen hatte, die römiſchen Tugendhelden, die im Gefolge der Ruhmesgöttin voran⸗ gehen,) Scipio Africanus der Aeltere, fein auserwählter Liebling un⸗ ter ihnen, fie beherrſchten Petrarca's Sinn bis zur Blindheit und gaben ihm doch die Empfindung eines glänzenden Lichtſchimmers, die en deſto ſicherer täuſchte. Als Kenner des Alterthums hielt er ſich für ein un⸗ fehlbares Orakel und als berühmter Mann glaubte er berufen zu ſotn, bei wichtigen Fragen von vaterkändiſchem Charakter jedesmal fein Went in die Waagſchale zu werfen. Wiederholt mahnte er die aweniemett⸗ ſiſchen Päpſte zur Rückkehr in das verwittwete und verwalſete Mom; man nahm dieſe Mahnungen auf wie fromme Empfindungen eines
) v. Trionfo della Fama op. I. U, 3. ö
I Wetsuece ala Bbasloge. | 37
Dichters und mehr waren ſie in der That nicht. Mied er doch ſelbſt ad Aufenthalt in Rom trotz feinem römiſchen Bürgerrechte, lebte er dach trotz feinem italieniſchen Patriotismus der Behaglichkeit wegen viele Jahre unter demſelben Himmelsſtrich, welchen er den Päpften zum bit⸗ ten Vorwurf machte. Er miſchte ſich in den venetianiſch⸗ genueſiſchen Krieg, als bedürfe es zur Friedensſtiftung nur wohlgeſetzter Worte; man gab ihm in Venedig ſehr ſchmeichelhafte, aber höflich⸗ abweiſende Antworten.) Lim entſchiedenſten zeigte ſich feine eitle Zudringlichkeit, als er Karl IV. aufrief, nach Italien zu kommen und dieſem unglück⸗ liihen Lande den Frieden zu geben:) um es Dante nachzuthun, ver⸗ leutuete en dabei Alles, was er fonft von der Würde Italiens und von den barbariſchen Fremdlingen gepredigt. Im Erfolge war er über⸗ all, wo er ſich in die Politik einmiſchte, gleich unglücklich und mußte in damit träften, daß man den hohen Schwung feiner Gedanken und feiner Worte bereitwillig anerkannte. Die Praxis der Politik blieb Männern wie dem Cardinal Albornaz vorbehalten, welcher den Helden der altrömiſchen Politik glich, ohne es zu willen und vielleicht ohne je ame: ihnen gelefen zu haben.
Wie ſehr das römiſche Alterthum Petrarca nicht nur Gegenſtand des Sindiumse war, ſondern in alle ſeine Lebensanſchauungen eindrang, das wird uns noch jede Seite des Folgenden zeigen. Alles gewinnt in der claſſiſchen Sprache und durch die Brille des Rämerthums ſofort eine andre Färbung, und Petrarca hätte ſich in dieſem unnatürlichen) Dönmerlichte gleich einem irren Phantaften oder Nachtwandler bewegt, wenn nicht der Kampf gegen das Hergebrachte, zu dem er berufen, der Kampf in feinem Junern und die ſtarken Regungen eines perſönlichen Dewußtſeins feine Träumereien mit der realen Welt im Gleichgewicht erhalten hätten.
Dem Genius iſt es eigenthümlich, daß er ſich der Wirkung, die von ihm ausgeht, ebenſowenig in ihrer ganzen Fülle bewußt wird wie der in ihm arbeitenden Kraft. Der Fortſchritt, den er auf einem und vielleicht nicht einmal dem bedeutendſten Gebiete hervorgebracht, wird auf andre Gebiete übertragen, die er kaum berührt, und gewinnt den⸗ noch erſt hier feine Vollwichtigkeit. Wo die Reſultate ſichtbar und ‚greifbar find, wie zum Beispiel auf dem Felde der techniſchen Erfin⸗
) Die Correspondenz im Lib. epist. variar. 1—4. 9 De pacifeanda Italia Exhortatio ad Cerelum IV. (Opp. p. 500).
38 T. Petrared's Gumarismis.
dungen, laſſen ſich auch die Zuſammenhänge leichter nachweiſen. Die Fortdauer und Propaganda rein⸗geiſtiger Potenzen dagegen iſt unbe⸗ rechenbar und hat etwas Dämoniſches. Wir fühlen fie aus Wort und Schrift, aus Denk⸗ und Handlungsweiſe wohl heraus, aber wir ver⸗ mögen nicht immer, dieſes Herausgefühlte in Wort und Schrift auch wiederzugeben. Was wir ſagen, erfcheint uns ſelbſt unvollkommen und nicht erſchöpfend, und wollen wir es kurz zuſammenfaſſen, ſo erſcheint es oft als eine vieldeutige Phraſe. So iſt es ſchnell ausgeſprochen, daß das dem Geiſtesleben der Hellenen und Römer Eigenthümlichſte die Darſtellung des Reinmenſchlichen war, und ebenſo ſchnell fügen wir hinzu, daß Petrarca dieſes Princip des Humanismus in die geiſtigen Gährungen der modernen Welt getragen hat. N
Statt aber zu erklären, was wir im Weſentlichen unter Humantos⸗ mus verſtehen, und den Begriff in feine poſitiven Merkmale zu zer⸗ legen, ſchildern wir Petrarca auf die Gefahr hin, den Kern nicht zu finden und nur die Schalen darzulegen, in ſeinem Kampfe gegen Das, was dem Humanismus als Gegenſatz oder Hinderniß gegenüberſtand. Auch beſchränken wir uns zunächſt auf das Gebiet des wiſſenſchoftlichen Strebens und der einzelnen Disciplinen, weil hierin Petrarca ſelber am klarſten fühlte, was als Vorurtheil und gehaltloſe . lg ſtürzt und vernichtet werden müſſe.
Er ging weder ſchüchtern und allmählig, noch einſeitig zu Werbe Die ganze Wiſſenfchaft, wie fie durch die ſcholaſtiſche Methode zufam⸗ mengehäuft war, erſchien ihm als ein wüſter Schlackenhauſen, unter dem kein Körnchen vom Golde der Wahrheit und Weisheit begraben war, der als völlig unnütz, ja als ſchädlich betrachtet und ohne Scho⸗ nung weggeräumt werden müffe. Nichts gilt ihm, als was ummittel⸗ bar auf den Menſchen Bezug hat, keine Gelehrſamkeit iſt ihm ehrwür⸗ dig, deren Endziel nicht mit dem des menſchlichen Lebens zuſammenfällt. Daher iſt er nie ſo voll Verachtung und heiligen Eifers, als wenn er auf das handwerksmäßige Treiben der Scholaſtiker zu ſprechen kommt. Daß es dem Geiſte Vergnügen gewähren und ein mit Luſt ergriffener Lebensberuf fein könne, tft ihm ganz unglaublich. Dieſe Menſchen, ſagt er, behandeln die Wiſſenſchaft lediglich als ein Mittel zum Gelben werb, als eine kaufmänniſche Waare; ſelbſt diejenigen unter ihnen, bie ſich den ſogenannten freien Künſten widmen, denken bereits an den Lohn, ſobald ſie nur in die Schule treten. Dieſe Krämer bieten Geiſt und Zunge feil und find darum verächtlicher als der Seemann oder
I. Pama als Senner der ſcholoßßiſchen Wifſenſchaft. 39
Kberbawer, der nur feine Hände und feine Körperkraft dem Erwerbe winmet. ') Petrarca verhöhnt die Mugiſter⸗ und Doctorwürde, die bloß durch pomphafte Ertheilung der Inſignien aus einem Dummkopf plötzlich einen aufgeblafenen Weiſen mache.) Die Univerfitäten find ihm Neſter der dünkelvollen Unwiſſenheit. Nennt er gelegentlich die gefeierte pariſer Hochſchule mit Ehrfurcht „die Mutter der Gelehrſam⸗ leit“ oder „vie ungeheure Univerſität,“ ſo geſchieht das eben nur in dem Augenblicke, wo fie ihm die Dichterkrone angeboten und wo er ihre Ehre ohne die eigene nicht ſchmälern konnte.)
Der wahre Gelehrte iſt ihm der ſtrebende Menſch, die Wiſſenſchaft die Dieuerzu der Tugend. Darum meint er Geſchichtsforſcher, Philo⸗ ſoph, Dichter, Theolog in einer Perſon fein zu müſſen. Während der Scholaſtiker feine Diseiplinen möglichſt ſcharf zu trennen ſucht, will er als Humaniſt die feinigen zu einer allgemeinen Menſchenbildung ver⸗ ſchmelzen. Fragt jemand ihn, zu welcher Kunſt er ſich bekenne, ſo ant⸗ wortet er, er wolle mar einer Kunſt und nicht Bekenner, ſonvern demü⸗ thiger Junger fein, fie nur erwänfchen, nicht fie beſitzen, und das ſei' die Funſt, die in beſſer mache. Er bezeichnet fie daun im Allgemei⸗ nen als „Tugend und Wahrheit“.
Mit dieſem Maaßſtabe tritt er an die wiſſenſchaftlichen Beſtre⸗ bungen anderer und zeigt ihre Beſchränktheit oder Nichtigkeit. Der Gram⸗ matiker, fagt er, iſt ängſtlich hinter den Geſetzen der Sprache her, aber wie leichtfertig den ewigen Geſetzen Gottes gegenüber! Der Dichter mag lieber in feinem Lebenswandel als in feinen Verſen hinken. Der Geſchichtſchreiber kümmert ſich um die Thaten der Könige und Völker, won feinem eigenen kurzen Daſein aber weiß er nicht Rechenſchaft zu geben. Die Arithmetiker und Geometer wollen Alles berechnen und meſſen, nur mit ihrer Seele wiſſen ſie nichts anzufangen. Die Mu⸗ flker leben ganz für ihre Töne, aber nicht für vie Harmonie ihrer eige⸗ nen Handlungen. Die Aſtronomen berechnen aus den Sternen, was mit Städten und Reichen geſchehen wird, achtlos gegen das, was mit ihnen ſelbſt im taglichen Leben vorgeht; ſie ſehen die Verfinſterungen der Sonne und des Mondes vorher, aber vie ihres eigenen Geiſtes er⸗
) Nu. MEERES I (Opp. p. 456); de vita selituria Lib. I. sect. IV; cp. I. et al. a
) De vera sapientia Dial. I (Opp. p. 365).
eu. euer e
+) Epist, ser. senil, XII, 2 (Op. F. 10% - .
40 I., Petrarca als Geguer der ſcholaſtiſchen Wiſſanſchaft.
kennen fie. nicht. Die Philoſophen forſchen nach dem Ur gend aller Dinge und wiſſen nicht, was Gott der Schöpfer ift; ſie beſchreben die Tugenden und üben fie nicht. Aus den Theologen ſind Dialekuker geworden, wenn nicht gar Sophiſten; fie wollen nicht liebende Kinder, ſondern Kenner Gottes ſein, und auch das wollen ſie nur ſcheinen. Selbſt diejenigen, welche die Eloquenz zu ihrem Studinm machen — hier ſchließt Petrarca ſich ſelbſt nicht aus — wohl hüten ſie ſich, in der Rede ungebildete und gemeine Worte zu gebrauchen, und vermeiden doch nicht den elendeſten Schmutz des Lebens. „O wenn du wüßteſt — ruft er bei dieſer Betrachtung dem Freunde zu — wie es wich nun zieht und drängt, wie das Verlangen in mir glüht zu lehren und weit⸗ läufig darüber zu ſprechen!“) Ja dieſes glühende Verlangen, dieſes raſtloſe Anſtreben ift es, was uns Petrarca's Geiſt auf feinem Höhepuncte zeigt. Aber wa er es nun wirklich unternimmt, dieſe höchſte Lehre, die mit ſo ahnungsreichem Drange an feine. Bruſt pochte, im Näheren auszuſprechen und zu bes gründen, geräth er entweder ins Stocken oder er verfällt ſeiner repſeli⸗ gen Eitelkeit. Doch zeigen wir ihn zunöchſt in feinem Kampfe gegen die einzelnen Disciplinen, die ihm auf den Hochſchulen oder in der Achtung der Menſchen als die vornehmſten entgegentraten. Er hat ſich hier freilich mehr polemiſch als reformatoriſch verhalten, er hat ſcharf, bitter und einſeitig geurtheilt, aber bedenken wir, daß überall enft der unbrauchbare Schutt fortgeſchafft werden muß, ehe an den neuen Bau die Hand gelegt werden kann, daß immer erſt die Skeptik die Mutter der ſelbſtſtändigen Forſchung iſt und daß ein einzelner Menſch wohl als Erneuerer der Wiſſenſchaft, nicht aber aller einzelnen Wiſſenſchaften auftreten kann. Jenen Kampf hat Petrarca nicht immer in einzelnen, mit abſichtlicher Tendenz angreifenden Schriften geführt, er zieht ſich vielmehr durch alle ſeine Werke; zumal ſeine Tractate und ſeine Briefe werden durch dieſen unaufhörlichen Kleinkrieg belebt. Wir ſehen auch hier, wie es ihn reizt und treibt, wie er mit eruſthaftem Angriff und mit verachtender Stichelei, mit lächelndem Scherz und mit ze den Schmähungen immer demſelben Ziele zuſteuert. Zunächſt und vor Allen zieht er vor ſeine Schranke die Aſtrels- gen, Alchymiſten und alle die betrogenen Betrüger, welche ua ar
) Epist. rer. variar. 32. Si Ti rain e en n IB en a
I. Petrarca gegen die Afvelsgie, gegen Traum und andern Mberglauben. 41
Aanſte das zulkänſtige Schickſal der Menſchen zu ergründen oder der Natur ihre Geheimniſſe abzulauſchen vorgeben. Vielleicht ſind wir ver⸗ ſucht, über die unermüdliche Wiederkehr der Ausfälle zu lächeln, die sc gegen fte richtet, und freilich ſind es für uns Gemeinplätze, die er verbringt. Aber er ſprach fie zu einer Zeit aus, wo der Hofaſtrologe zu den augeſehenſten Gelehrten zählte, wo in Bologna und Padua beſon⸗ vere Lehrſtühle für dieſe Wiffenſchaft errichtet waren, wo die Kirche es noch nicht wagte, die morgenländiſche Thaumatologie, welche durch die Berührungen mit dem Orient in Wiſſenſchaft und Leben gedrungen war, ſtreng vom Glauben zu ſondern, wo fie den Aberglauben theilte und feine Fietionen für Realitäten hielt, auch wenn fie dieſelben als Werk des Teufels verdammte und beſtrafte, wo fie noch des Dämonis⸗ mus als eines Gegenſatzes ihrer erlöſenden Kraft bedurfte. Da war es gewiß eine That des Muthes, ſo rückſichts⸗ und bedingungslos wie Petrarca den Trug und den Aberglauben als ſolchen zu brandmarlen. Hat er gleich noch Jahrhunderte lang fortgedanert, fo hat doch unaus⸗ geſetzt der Humanismus den Kampf dagegen wie ein Erbe ſeines Erz⸗ vaters auf ſich genommen und nahezu durchgeführt.
Gleichzültig gegen die vielfache Verſchlingung, in welche fich die keirche mit den abergläubiſchen Vorſtellungen eingelaſſen, fußt Petrarea theils auf dem Alterthum, am meiſten aber auf der freien Anſchaunng, vie fein Geiſt ſich errungen. Schon gebildete Römer wie Cicero ſah er über die Superſtition des Pöbels ſich hinwegſetzen; Auguſtinus hatte mit philoſophiſchen und dogmatiſchen Gründen dagegen geeifert.) Den Angurien und Prodigien, von denen er im Livius las, Glauben zu ſchenken, war Petrarca nicht verſucht; die an ſie gelegte Kritik ſchärfte ſeinen Geift gegen jeden ähnlichen Hokuspokus, der ihm im täglichen Leben entgegentrat. Selbſt das Gebiet der Ahnungen und Träume wies er mit rationellen Gründen zurück. Als ihm ſelbſt einſt in Traume fein theuerſter Freund, der Biſchof von Lombds, in der Bläſſe des Todes erſchien und er nach 25 Tagen die Beſtätigung dieſer Viſion er⸗ fuhr, wollte er doch an Träume nicht glauben und meinte, es ergehe ihm wie Cicero, dem auch durch Zufall ein Traum eingetroffen. So be⸗ diente er ſich nur des geſunden Menſchenverſtandes, der ſich aus den täglichen Erfahrungen eine Lebensphiloſophie abſtrahirt, um die geheim⸗ nißvolle Gaunerei und die e klar zu W Dieſe
) Perarea wieberhelt ihre 6 ver. famil, II, 8.
42 I. Petrarca gegen bie Aſtrolatzen, gegen die Aunzte.
Aſtrologen, eifert er, willen nicht, was am Himmel vorgeht, fie Fink nur unverſchämt genug, dieſes Wiſſen vorzugeben, und frech müſſen fie in ihren Lügen ſein, um ſich in Reſpect zu erhalten. Sie reden Dinge, die nur Gott weiß, und ſchwatzen lieber Unſinn, ehe ſie ihre Unwiffenheit eingeſtehen. Tüchtige Menſchen, beſonders aber ſolche, die ſich einer wiſſenſchaftlichen Bildung rühmen, ſollten ſich ſchämen, ihrer Windben⸗ teleien zu achten und ſich darum zu kümmern, ob ſie zum Beiſpiel aus einer langedauernden CTonjunctur zwifchen Mars und Saturn ein gro⸗ ßetz Unheil weiſſagen. Nur thörichtes Volk hängt immer von dem ab, was die Zukunft in ſich trägt. Es waltet Einer über den Sternen wie über den Menſchen, aus ſeiner gerechten Hand haben wir unſer Schickfal zu erwarten und hinzunehmen; ſo lehrt die Schrift. Ein unverdientes und blindes Geſchick giebt es nicht. — Mit beſonderm Triumph erzählt Petrarca von einem alten mailändiſchen Hofaſtrologen, den er einſt zu dem Geſtändniſſe gebracht, er denke darüber im Grunde nicht anders wie Petrarca auch, doch müſſe er einmal mit feiner Kunſt ſein Leben friſten.)
Von den Aſtrologen, deren ganze Wiſſenſchaft eine Charlatanevie war, führte der nächſte Schritt zu den Aerzten, die ſich in der That nicht minder als Charlatans zeigten. Petrarca war noch jung und voll ſchwellenden Stolzes, als er ſeine erſte Lanze gegen die mediciniſche Kunſt brach, und auch dieſen Kampf hat er dann unermüdlich bis in fein hohes Alter fortgeführt. Gern ſtellt er die Sache jo dar, als fei er zuerſt durch Aerzte, die von der Poeſie mit Geringſchätzung geſpro⸗ chen, gereizt worden. In der That aber knüpfte er ſelbſt die Fehde au. Während einer Krankheit des Papſtes Clemens VI. richtete er an dieſen ans freien Stücken einen Brief, in welchem er ihn vor den Aerzten als umwifienden Betrügern warnte.) Ein päpſtlicher Leibarzt fand es albern, daß Petrarca ſich in eine Sache miſche, von der er doch nichts ver⸗ ſtehe; der Dichter möge bei ſeinem Lügenhandwerk bleiben. Gegen ihn richtete Petrarca jene vier Bücher Invectiven, die zugleich als das erſte moderne Erzeugniß dieſer Gattung au Beachtung verdienen.) Er
) De reined. utr. fortune Lib. I. dial. 111. 112; epist. rer. sewil. I, . * 1. ot l.
9 Epist. rer. senil. XII, 2. vom 12. März 1352; xv, 3.
) Libri IV Invectivarım contra medicum quendam (Opp. p. 1200— 1233). Sie datiren: Mailand den 12. Juli 1853. of. Mehus vita Ambr. Travers.
p. .
I. Petrarea gegen die Terzte. 13
nahm die erste mit Gründen, die wir oben dargelegt, in Gchatz, une priff dafür die ärztliche Praxis mit fo beißendem Spott an, daß er ſelbſt wenigſtens ſich ſchmeichelte, den Gegner „für alle Gwigleiten zerfleischt zu haben. Mit ſcharfem Sinn hatte er wirklich das Lächerliche im Benehmen der Aerzte herausgefunden, ihr Geſchwätz über den Pula, die Säfte, die kritiſchen Tage, über die Wunderkraft ihrer unzähligen Heilmittel. Er war ſchon damals berühmt genng, um durch feine kecken Angriffe Aufſehen zu erregen. Zu Avignon gerieth er oft mit den Leibärzten des Papſtes und der Cardinäle in Streit und immer vergalten ihm dieſe mit mißachtenden Aeußerungen über feine. Kunſt, die Poeſie. Je mehr man ihn reizte, deſto ſchärfer wurde feine Anſicht von der Arzeneikunde. Er bethätigte fie nun auch im Leben und pres digte ſie in ſeinen Schriften mit einer Vorliebe, die faſt ſchon Sonderbar⸗ keit iſt. Noch als Greis, als er in der That ein wenig gebrechlich wurde, rühmte er ſich gern, wie er die Aerzte von feiner Schwelle fern halte - oder wenn er fie aus Rückſichten zulaſſen müſſe, ihre Verordnungen nicht befolge. ) Sie wiverriethen ihm den Genuß des kalten Quell⸗ waſſers und des rohen Obſtes, der ihm gerade behagte, ſie erklärten fein übermäßiges Faſten für nachtheilig, obwohl hier die Gefahr zuver⸗ Kfig nicht fo groß war, als er die Welt glauben machte. Er blieb bei ſeiner Lebensweiſe geſund und rüſtig und lachte ihrer Mahnungen. Mit Behagen pflegte er zu erzählen, wie ihm einſt bei einer Krankheit die Aerzte geweiffagt, er werde um Mitternacht ſterben, und wie ſie 3 am Morgen wiederkehrend, vergnügt an feinem NS ge 2 funden.)
Doch weientlicher als fein perſönliches Verhalten, bei Kali nie deſtens fo viel Laune als Ueberzeugung war, find uns die Gründe, die er gegen das Treiben der Aerzte vorbringt. Von ihrer Wiſſenſchaft verſtand er allerdings nichts, aber es war ihm doch klar, daß ſie bis jetzt eben keine ſei und ſich entweder ihrer Unfähigkeit beſcheiven ober tiuſt ganz andre Bahnen ſuchen müſſe. Er war auch in dieſem Fache der erſte, der mit Unglauben an das alte Syſtem klopfte; darum ge bührt ihm in der Geſchichte der Mediein ein ehrenvollerer Platz als manchem geiſtvollen Erfinder neuer Qualen und unſeliger Mordeunren. Am reinſten ſpricht er ſich aus, wenn er nicht im Tone des Spottes
9 A et. rer. Seni KEV, G. et al. 2) Epist. rer. senil. XIII, 8. XIV, 14.
44 I. Petrauca gegen bie Nerzte.
uud der Polemik dem nerhuften Stande der Hurmnephheten übauhanpt zu Leibe geht, ſondern feine Meinung einem geſchätzten Freunde, wie dem berühmten Arzte und Phyſiker Giovanni de Dondi, mit Mäßi⸗ gung darlegt. Dann beſtreitet er keinesweges, daß es eine Wiſſenſchaft der Mediein gebe, aber er kann nicht glauben, daß die Aerzte feiner Zeit oder ihre Vorgänger im Beſitze derſelben geweſen. Solbſt vie Alten, meint er, helfen hier nicht aus; den wie eigentlich Hippokrates geheilt habe, wiſſen wir nicht, dem Galenos aber ſei als einem Pvahler nicht zu trauen und überhaupt können die griechiſchen Aerzte Kranken eins andern Landes, deren Natur auch eine andre ſei, nicht helfen. Die arabiſchen ſcheinen ihm die vollſte Verachtung zu verdienen. Fin⸗ den unn ſelbſt die Heilkünſtler des Alterthums keine Gnade vor ihm, woher ſollten die modernen ihr Wiſſen haben? Sie ſtehen ihm den Aſtrologen ganz nahe, treiben ein betrügeriſches und noch dazu ſchmutzi⸗ ges Gewerbe und ſind allzumal Charlatans, fie müßten denn ihre Un⸗ mifſenhett eingeſtehen. Sie mißbrauchen die Leichtgläubigkeit und vie Lebeusluſt der dummen Menge, welche ihre geheimnißvollen Mienen und Worte refpecktet und die kauderwelſchen Namen ihrer Gifte als auiechifche Weisheit verehrt. Wenn fie die Apheriemen des Hippokra⸗ tes citiren, die. fie nicht verſtehen, thun fie in ihrer Anmaßung, als hatten ſie den Himmel unter ihren Füßen und als lägen die Geheimm⸗ niſfe der Natur vor ihnen offen. Selbſt an ihre Erfahrung well Pe⸗ trarsa nicht glauben, weil das Wirken der Natur allzu tief und ver- borgen ſei. Auch ſcheint es ihm gegen Philofophie und Religion, über der Erhaltung des Lebens allzu ängſtlich zu wachen; der Natur. gemäß müſſe man leben und wo ſie nicht ausreicht, auf Gott vertranen, nicht auf Hippokrates, am wenigſten auf feine unwiſſenden Schüler, die * ihr Morden noch hohen Lohn verlangen.) |
Nebſt der Medicin waren die Rechte das eigentliche Brodſtudium und Shen das hätte Petrarea vermocht, von der Wolkenhöhe der Philosophie mit. Verachtung auf fie herabzuſehen. Daß er ſelbſt ſieben Jahre lang dem Rechts ſtudium obgelegen, wenn auch unter Zwang und Widerwillen, . man 8 . . an. Die Abneigung und in Golge
) Episte rer. senil. XII, 1. 2. V, 4. xv, 3. es al. ae Wanferungen Pete über die mediciniſche Wiſſenſchaft und die Aerzte findet man in Reihe und Glied ge ſtellt, wodurch fie freilich ein allzu methodiſches Anſehen erhalten, in einem Auſſatze von Henſchel (Janus. Zeitschrift für Gesch. und Literatur der Medici Ba. I. Breslau, 1846. S. 183 fl.)
I. Petrarea und das Ins. Sein Kampf gegen bie Schulpkilefopfe: 45
derſelben das tiefere Bewußtſein ſeines humaniſtiſchen Berufes ſchen die einzige Frucht jener oklademiſchen Jahre. Dennoch iſt er mit der Rechts disciplin und mit den Juriſten noch glimpflicher umgegangen als mit der Medpiein und den Aerzten. Entweder war ihm das Andemen an jene Jahre der Zwangsarbeit ſo zuwider, daß er an ſie nicht den⸗ ken mochte, oder er kam mit ſeiner Anſicht nicht ins Reine. Denn das bürgerliche Recht Italiens, wie auch entſtellt, war doch immer eine auf dem Alterthum ruhende Disciplin, und das bürgerliche Leben konnte der richterlichen Entſcheidungen nicht entbehren. Petrarca iſt in dieſes Gebiet nicht ſonderlich tief eingedrungen. Er vermochte uicht die geſchichtliche Auffaſſung von der Praxis zu trennen und ſich wieder⸗ um den nothwendigen Zuſammenhang beider zu verdeutlichen. Er ſtieß ſich ſofort an der täglichen Erfahrung, die er mit der Moral im Ge⸗ genſatze ſah. Er fand, daß der Gebrauch des Rechtes durch die Nichis⸗ würdigleit der Menſchen geſchändet werde, er wollte das menſchliche Recht geübt fehen, welches die alten Philoſophen gelehrt. Nur mit wenigen Fingerzeigen hat er hier auf ein Feld der Polemik . welches von ſeinen Nachfolgern reichlichſt ausgebeutet wurde. N Am ſchärfſten mußte der Humanismus feinem Widerſpiel, der
ſcholaſtiſchen Methode, entgegentreten, wo er ſie losgelöſet van Leben und Anwendung, in ihrer abſtracten Form, als Philoſophie antraf. Bis zu dieſem Kern drang Petrarca erſt allmählig, indem die mit dem Leben verknüpften Wiſſenſchaften ihn zuerſt reizten und ſeine ankämpfende Kraft übten. Bildete aber die Dülektik ſtets die Waffe feiner Gegner; ſo mußte entweder auch er ſie führen lernen oder ſie dem Feinde aus der Hand ſchlagen. Mit Hülfe feiner wohlgeübten Rhetorik glaubte er letzteres zu vermögen. Die Dialektik, erklärte er, möge eine vor⸗ treffliche Uebung für den jugendlichen Geift fein, gleichwie das Kind ſeine Körperkraft zuerſt im Spiele übe, ſie ſei der Weg, nicht das Ziel, ein alter Syllogismenkrämer aber höchſt lächerlich. In der That war ein ſolcher gegen ihn aufgetreten und hatte die Poeſie und Rhetoril für die unnützeſten aller Künſte erklärt.) Der Krieg Petrarca's gegen die ganze Discipkin war dadurch entzündet. Fortan fühlte er ſich als einen Sokrates, der das Treiben der Sophiſten enthüllte. In den gefeierten Kathederphiloſophen ſah er nur noch Narren, die unter einem geſchwätzigen Spiel mit Worten grau werden und dabei der en
') Epist. rer. mil 1. 6. 9. 11.
46 I. Pererea'e Kempf gegen vie Schulpyilsſaphie und Arihstrbes.
welche durch die Worte bezeichnet werden, ganz vergeſſen, die ſich mit ihren unfruchtbaren Speculationen und Disputationen eitel und hof⸗ fährtig in leeren Kreiſen herumdrehen und nur vom dummen Volle angeſtaunt werden.) Die wahre Philoſophie werde beſcheiden anfixe- ten und den Weg zum Heile weiſen; nicht hohle Begriffe, ſondern der fittliche Menſch und das Leben ſeien ihr Gegenſtand, fie. führe den Weiſen zum Hafen des höheren Lebens.) Es iſt, wie man ſteht, die Moral, in die ihm alle Philoſophie aufgeht.
Der Schild, den ſeine Gegner ihm ſofort entgegenhielten, war natürlich Ariſtoteles, ein gefeierter Name, dem noch niemand feine hr: furcht zu verweigern gewagt. Petrarca, der Verehrer des Alterihums, wurde hier durch das Alterthum ſelbſt aus dem Felde geſchlagen. Ge iſt höchſt anziehend zu beobachten, wie er um dieſen Einwurf herum⸗ zukommen ſucht und wie er endlich kühn dem hehren Namen mit einem andern hehren Namen entgegentritt. In jenen Jünglingsfahren nämlich, als er feine Invectiven gegen die Aerzte ſchrieb, beſchulvigte er feine Gegner einfach, den Ariſtoteles nicht zu verſtehen und zu ale deuten. Er kannte ihn aber felbft nur in derſelben verderbten Geſtalt wie ſie und hat ſich zuverläſſig, ſeitdem er der Hochſchule entlaufen, nie wieder mit der vort üblichen Philoſophie beichäftigt. Doch wüßte er, vaß die Handbücher eben nicht den reinen Ariſtoteles, ſondern nur eine Verarbeitung enthielten, deren unzählige Zuſätzt und Umſchreibun⸗ gen von dem alten Autor kaum noch eine Spur erkennen ließen. Er wußte ferner, daß arabiſche und jüwiſche Commentatoren, zumal Awer⸗ roes, dabei thätig geweſen, und das war genug für feine Galle; wenn er dachte ſogleich an die arabiſchen Aerzie, an wilde Heiden, hartanckige Juden, wüthende Verfolger Chriſti und dergleichen. Mit der Zeit mußte der ihm kaum bekannte Ariſtoteles unter dem Haſſe mitleiden, den er gegen den ihm ganz unbekannten Averroes hegte, nur ſprach er von jenem noch mit Zurückhaltung, während er auf Araber, Averroiſten und Ariſtoteliker ſchon gewohnheitsmäßig eiferte und ſchmähte. Dabei mußte er ſich im Stillen geſtehen, daß auch diejenigen Schriften des Awiſtoteles, die er in unmittelbarer, wenn auch der Untreue ſehr ver⸗ mächtiger Ueberſetzung las, ihn nicht im mindeſten anzogen. Wie un⸗
) De remed. utr. fort. Prasfat. (Opp. p. 2); de oantemptu mundi Dial. I (Opp. p- 379) et al. ) Invect. e. medicum Lib. II (Opp. p. 2212) Aehuliches an ä Stellen
dieſer Schrift.
I. Beiropen und Ariſtoteles. 47
ſicher er ſich fühlte, wie es ihn drängte, feine ganze Meinung über Ariſtoteles herauszuſagen und wie er doch Scheu trug, dem ehrwürdi⸗ gen Alten zu nahe zu treten, zeigt am deutlichſten die Schrift „über ſeine und vieler Anderer Unwiſſenheit“, die gegen eine Secte gerichtet iſt, in welcher Ariſtoteles wie ein Gott verehrt wurde. In dieſer Schrift wechſelt Petrarca zweimal ſeinen Standpunct. Er erzählt uns, wie er ſich bisher geholfen habe, wenn ſeine Gegner in der Disputa⸗ tion einen ariſtoteliſchen Satz wie ein heiliges Axiom hingeſtellt: er ſuchte nämlich entweder mit einem Scherz die Unterhaltung darüber hinwegzuleiten oder er ſagte beſchönigend, Ariſtoteles ſei zwar ein gro⸗ ßer Mann von vielen Kenntniſſen, aber doch ein Menſch geweſen und habe deshalb Vieles nicht gewußt.) Weil dann ſeine Gegner, Logiker vom reinſten Waſſer, die Eloquenz als eines Mannes der Wiſſenſchaft unwürdig erklärten und ſelbſt bereit waren, fie dem Ariſtoteles, finde fie ſich an ihm, als Nachtheil anzurechnen, fo erklärt Petrarca den Stagiriten plötzlich für ſüß und. wohltönend und nur durch feine ge⸗ ſchmackloſen Jünger ins Unfeine und Rauhe entſtellt.) Endlich aber, nachdem er ſich im Fortſchreiben an ſeinen Gegnern tüchtig eingeärgert, bricht er doch mit ſeiner wahren Meinung heraus. Er wolle wegen der Zeugniſſe der Alten, zumal des Cicero, immerhin glauben, daß ſich Ariſtoteles in ſeiner eigenen Sprache licht⸗ und ſchmuckvoll leſen möge, aber er müſſe geſtehen, daß ihn der Stil ſeiner Werke, wie ſie nor ihm lägen, nicht ſehr ergötze. Auch lehre Ariſtoteles wohl, was Tu⸗ gend ſei, aber er lehre nicht mit dem feurigen Eifer eines Gicern oder Kane die Tugend lieben und das Laſter haſſen. Wohl wiſſe er, daß die Ariſtoteliker ihn wegen dieſer kühnen Aeußerung verketzeru würden, eber er müſſe fie herausſagen.)
An einer andern Stelle ſeiner Schriften ſpricht er ſich noch rüd- beltiofer über Ariſtoteles aus. Er will es wagen, dem »wüthenden Haufen“ der Verehrer des Ariſtoteles entgegenzutreten und »dem all⸗ gemeinen Irrthum nicht ſtill zu folgen“: an der Größe feines Geiſtes könne man nicht zweifeln, wohl aber an ſeiner Beredtſamkeit; in den⸗ jenigen Büchern wenigſtens, die auf uns gekommen, finde ſich „leine Spur von Wohlredenheit.“)
1) De sui ipsius et multorum (s. aliorum) ignorantia (Opp. p. 1149).
) Dulcis ac suavis, sed ab his scaber factus Aristoteles. ibid. p. 1143. 3) ibid. p. 1159.
) Rer. 3 Lib. I (Opp. p. 466).
48 I. Petrarca und Platon.
Ein ſolches Wort macht in der Geſchichte der Wifjenfchaften Epoche, wie eine Völkerſchlacht in der Geſchichte der Staaten. Pe⸗ trarca trat damit nicht nur einem einzelnen Gegner oder einer beſon⸗ dern Schule, ſondern einer ſeit Jahrhunderten geläufigen und von niemand noch angefochtenen Autorität entgegen. Der Schlag traf nicht Ariſtoteles allein, zugleich auch die Kirche, das mittelalterliche Syſtem. |
Als Gegengewicht hob Petrarca nun den Platon empor. Hiebei war noch weniger Kenntniß und faſt Alles bloßer Inſtinct. Bei den Ariſtotelikern ſtand Platon in ſehr geringer Achtung oder vielmehr in fo geringer Kenntniß, daß ſie der Meinung waren, er habe gleich Pytha⸗ goras nichts oder doch nur ein paar unbedeutende Werke geſchrieben. Petrarca beſaß etwa ſechszehn ſeiner Schriften, aber es waren griechiſche Exemplare, die gleich ſibylliniſchen Büchern in ſeiner Bibliothek ſtanden.) Boccaccio hat ſich einmal an ihre Ueberſetzung wagen wollen, bald aber eingeſehen, daß der fromme Wunſch noch nicht das Können ſei. Folg⸗ lich war auch Petrarca's Vorſtellung von dem großen Athener eine äußerſt dunkle und ſkizzenhafte. Er wußte nicht viel mehr von ihm, als daß die Scholaſtiker auf ihn zu ſchmähen pflegten — ſchon ein weſentlich zu ſeinen Gunſten ſprechendes Argument — daß Cicero, Seneca, Apulejus, Plotinus, auch Ambroſius und Auguſtinus ihn hoch gehalten, daß er ſchon im Alterthum den Beinamen des Göttlichen ge⸗ führt.) Aber das iſt ihm genügend. Will er auch einmal ſich nicht zum Richter darüber aufwerfen, ob Ariſtoteles oder Platon größer ſei,) ſo iſt doch dieſe Frage bei ihm längſt entſchieden. Er nennt Platon bei andern Gelegenheiten geradezu den erſten der Philoſophen, erkennt ihm den Principat zu, iſt von dem „göttlichen Redeſtrom“ feiner. Werke überzeugt und ſchilt die Kathederphiloſophen, die ſeinem Lobe wider⸗ ſprechen, ein plebejiſches und kleinkrämeriſches Volk.) Ja ſogar den neueren Griechen, die ſich ſonſt wenig ſeiner Hochachtung erfreuen, will er beiſtimmen, wenn ſie Ariſtoteles ſeiner reichen Kenntniſſe wegen ach⸗ ten, Platon aber wegen der Hoheit ſeines Geiſtes als den Göttlichen bewundern.) |
) De sui ips. et mult. ignorant. (Opp. p. 1162). ) Epist. rer. variar. 21. De sul ips. et mult. ignorant. (Opp. p. 1161). f ) Epist. rer, variar. 21; famil. IV, 9. Rer. memorand, Lib. I (Opp. p. 452). ) Rer. memorand. Lib. I (Opp. p. 463).
I. Petrarca und Platon. Seine Stellung zur Kirche. 49
Auch hier iſt das, was uns überraſcht, nicht Petrarca's Urtheil, welches er doch allzu dürftig begründet, es iſt vielmehr die Gabe der Divination, die geniale Wegweiſung. Es bedurfte eines Jahrhunderts, um den Kampf, den Ariſtoteles und Platon um die Hegemonie der Geiſter führen ſollten, auf das Feld der wiſſenſchaftlichen Kunde zu übertragen, dann verging etwa noch ein halbes Jahrhundert und der Sieg Platons war entſchieden. War es für's Erſte nur von Bedeu⸗ tung, daß durch das Hervorheben Platons die Autorität des Ariſtote⸗ les deſto mächtiger erſchüttert wurde, ſo müſſen wir doch gleich hier eine andre, wenngleich viel ſpätere Folge ins Auge faſſen. Während Ariſtoteles eine Stütze der Kirche geworden war, indem ſeine dialektiſche Methode, tauſendfach mit ihrem Dogma verſchlungen, demſelben Feſtig⸗ keit und Einheit gab, erhob ſich dagegen der Platonismus auf ſelbſt⸗ ſtändigen Grundlagen neben der Kirche und wurde, wie man ihn trieb, zu einer Theoſophie, die durch myſtiſchen Zauber und als ſtolze Lehre für Auserwählte gefährlich genug der Theologie und dem Glauben ge⸗ genübertrat.
Wie glich ſich denn dieſer Gegenſatz, des Humanismus nämlich, der freien Kraft, die Alles aus eigenem Buſen ſchaffen will, und des firchlichen Glaubens, der als Poſtulat an den Menſchen tritt, wie glich er ſich in Petrarca's Seele aus? Seine Stellung zur Kirche, zur Theo⸗ logie und zum Glauben iſt keine einfache, in ihr liegt der Angelpunct ſeines Geiſteslebens, ſie führt uns am tiefſten in das Verſtändniß ſei⸗ ner Perſönlichkeit. In andern Puncten werden wir oft finden, wie Petrarca der Typus und Pfadweiſer für die ihm nachfolgenden Huma⸗ niſtenſchulen war; das iſt er in dieſem Puncte nicht oder er iſt es viel⸗ mehr in einem ungleich höheren und weitgreifenderen Sinne.
In jenen jüngeren Jahren, als der Wohllaut der tullianiſchen Sprache und das im Helldunkel des Heroismus ſchimmernde Alterthum ihn noch völlig beherrſchten, war er wenig verſucht, ſich um Glauben und Kirche mehr zu kümmern als andre junge Leute, die eine Weihe genommen, eine auskömmliche Pfründe abwarteten und das Schickſal der Kirche ihrem unſichtbaren Lenker überließen. Aber der Ernſt der Zeit riß auch ihn in ihr Intereſſe mit, um ſo mehr da er den Drang fühlte, ſich hervorzuthun und als Sänger, als Vates, im Sinne der Propheten des alten Bundes aufzutreten.
Die Zeit der avenionenſiſchen Reſidenz, der großen Peſt und aller jener Uebel, welche damals das bürgerliche Leben und die Gemüther
Voigt, Humanismus. 4
50 I. Petrarea und die Kirche.
zerrütteten, hat ihre eigene Literatur von Klageltedern, Straſpredigten und Weltgerichtsverkündigungen. Es herrſchte eine unheimliche religidſe Erregung, die erſt gegen den Schluß des Jahrhunderts einer langen und matten Gleichgüttigkeit Raum machte. Hunderte von Mönchen ſahen den Antichrift hereinbrechen und riefen verzweifelt zur Buße, zu Sack und Aſche auf. In dieſen Weheruf ſtimmt auch Petrarea ein, wortreich und lamentabel wie jene Mönche, nur erfinderiſcher und ge bildeter in der Ausdrucksweiſe. Auch er iſt unerſchöpflich, wenn er auf die Sündhaftigkeit und das Elend ſeiner Zeit zu ſprechen kommt. Er ſieht die Menſchheit an einem Abgrunde ſtehen, von dem ſie nur vor⸗ wärts in das allgemeine Verderben ſtürzen kann, er iſt der Prophet eines furchtbaren Strafgerichtes, welches über die von Chriſto abgefallene Menſchheit kommen muß, ja er bewundert die Geduld Gottes, der ſeinen Zorn noch beſchwichtige und den großen Tag ſeiner Rache noch ver⸗ ſchiebe. Jetzt, ſagt er, ift die Zeit eines Nero und Domitianus noch zu beneiden; denn jetzt kann man weder tugendhaft leben noch ehrenvoll ſterben. Und muß einer die Summe der Schuld tragen, ſo iſt es der Papſt, der nicht weilt, wo die Gräber der Apoftelfürften ſind und wo vom Capitol aus eine Welt beherrſcht wurde. „Indem wir unſern Fahnen folgen, werden wir verrathen und unter der Leitung unſers Führers gehen wir ins Verderben, und wenn nicht Chriſtus noch ein⸗ mal als Rächer auftritt, iſt Alles verloren.“)
So folgt hier Petrarca einem allgemeinen Stichwort. Aber er ift auch auf dieſem Gebiete nur der Redekünſtler, ein ſtrenger Genfer, der aber nur um feines Amtes, nicht um der Sache willen eifert. Man darf nur einige Seiten ſeines Lebenswandels mit ſeinen Worten in Vergleich ſtellen. Gern rügt er mit ernſter Miene oder mit witzi⸗ gem Spott) das liederliche Leben der Kleriker und Mönche, und doch hatte er ſelbſt eine Weihe empfangen und bezeichnete ſich als Prie⸗ fter, ohne die in der Theorie verehrte Enthaltſamkeit im Leben zu be⸗ währen. Gegen Schein und Heuchelei hat er tüchtig geeifert, aber feine Gebete und Faſten nicht ohne Eitelleit zur Schau getragen. Wie ft
) Die Briefe ohne Adreſſe find vorzugsweiſe dem Weherufe gewidmet (vergl. befonders epist. s. tit. 6. 7. 11. 12. 13), doch ſiuden ſich ähnliche Eppectorationen ziemlich in allen Werken Petrarca's, z. B. epist. famil. II, 10: Sed, ut res ennt, indies pejorg conjicio, quamvis jam pejora vix possim.
„) So iſt z. B. die epist. s. tit. 18. erzählte Geſchichte von dem alten verbuhl⸗ ten Cardinal der Facetien Poggio's ganz würdig.
T. Petravea end Anzuſtinus. | 51
verſichert er uns, daß er ein gläwbiger Shrift ſei und ſein wolle, und duch konnte er den heivniſchen Philoſophen, den das Alterthum gebildet, nummer derlengnen.
Noch zu verſelben Zeit, in weicher Cicero und Virgilius feine verehrten Idole waren, fielen Petrarca die Bekenntniſſe des Auguſtinus in die Hände. In der That ein wunderbares Buch, dieſe Confeſſionen! Der Nhetor, der auf ſein blühendes Wort vertraut und für feine Kunſt eine Bühne ſucht, ſtößt hier zuſammen mit dem Chriſten, der nichts darch ſich, Alles uur durch die Gnade Gottes fein will. Etwas, düult uns, von dem Hange, der Auguſtinus zum Schauſpielen zog, hat ihn verleitet, fein Herz zur Bühne zu machen und vor einem Publicum feine Couverſion darzuſtellen. tel und ſelbſtgefällig, fo lange er das Leben als ein geiſtreicher Heide genoß, läßt er die rhetoriſche Verbil⸗ dung auch dann noch verſpüren, als er fi in das Meer der Gnade ſtürzte und mit pathetiſchem Entzücken die Empfindung der tiefften Demuth genoß. Er konnte nicht mehr zur Einfalt und Einheit ves Weiens zurücklehren. So ſteht dieſer denkwürdige Menſch an einer Greuz- ſchewe gleich Peitavca, beide find rückwärts⸗ und vorwärtsſchauende Nannsgeſtulten, beide fefjeln uns durch vas Bild des ringenden und kenipfenden Merſchen, der werden möchte wie ein Kind und doch 8 bertanenhen gleich einer Kette mit ich fchleppen unß.
Wir verſtehen nun wohl, was Petrarca an diefem Buche ber Confeffionen fo mächtig anzog, warum es in ihm gährt und glüht, wenn er von Auguſtinus ſpricht. Er empfand die verwandte Natur wo: ſah in ihrem Spiegel ſein eigenes Bild; er fühlte, daß auch in im dieſelben lemente ſchliefen und zum Kampfe erwachen mußten. In der That ſtand er keinem Menſchen fo nahe als dieſem Kirchen⸗ lehrer, der ein Jahrtauſend vor ihm gelebt. Gern nennt er ihn: mein Auguſtiuns. Im Stolze des Ciceronianers hatte er die Leuchten der Arche, im Selbſtgefüchl des Dichters den Chriſten bis dahin wenig leuchtet.“) Ans dirfem Buche hörte er den Menſchen zum Menſchen reden und an das: Tiefiunerſte pochen, was er ſelber in feinem Buſen barg; Heilige Empfindungen ſah er gepaart mit quellender, oft hin⸗ weißender Begemkeit. Ee wurde das Buch feines Herzens, viefts
) Bpist, rer. senil. XV, 1: Nondun sane sanctorum Aibros eee; 5 errore coecus et typo tumidus Beta, ae
4*
52 I. Petrarca und die Theologie. Die Averroiſten.
„thränenfeuchte“ Buch der Confeſſionen.) Er hatte feinen geiſtlichen Helden gefunden, den er nun ſofort zu einem neuen Idole machte und mit deſſen Cultus er ſich recht vor die Augen der Welt drängte, gleich⸗ wie er im weltlichen Gebiete feine auf Scipio Africamts gefalleue Lieb⸗ lingswahl bis ins Abgeſchmackte verfolgte. Aber vüllig neu war doch dieſe Auffaffung eines Schriftſtellers der Kirche. An den Claſſikern hatte Petrarca wieder gelernt, einen Autor leſen, aus deſſen Büchern man bisher nur einzelne Stellen geriſſen, um ſie gepaart etwa mit Thomas von Aquino's und Lyra's Gloſſen zur ſchulmäßigen N zu verwenden.
Petrarca iſt ferner der erſte, der zwiſchen der Religion or, wie fie in den Schriften des neuen Bundes, den Werken eines Hiero⸗ nymus und Lactantius, vor Allen aber feines geliebten Auguſtinus ge⸗ lehrt wird, auf der einen und der neueren Theologie auf der andern Seite eine ſcharfe Scheidelinie zieht. Der ſcholaſtiſche Theolog ſteht ihm nicht höher als der ſcholaſtiſche Philoſoph und Juriſt. Den heiligen Na⸗ men der Theologie, ſagt er, den einſt würdige Bekenner geziert, entehren jetzt profane und geſchwätzige Dialektiler, daher dieſe Maſſe un brauchbarer Magiſter.) Ihre Gelehrſamkeit flößt ihm nicht die mindeſte Ehrfurcht ein und ebenſowenig iſt er für mönchiſchen Spuk empfänglich; denn jene entbehren der Weisheit des Alterthums und dieſem widerſpricht
die Philoſophie der Römer. Wenn Petrarca dennoch als Apologet des eee nicht geringen Ruhm erlangt, ſo müſſen wir die . legenheit und die Motive mit in Betrachtung ziehen.
Eben zu feiner Zeit hatte die ſcholaſtiſche Philoſophie einen wan derlichen Auswuchs getrieben und eine Schule erzengt, die der hum niſtiſchen ſchroff entgegenſtand und den Vater des Humanismus an ſich zum Kampfe herausforderte. Leider kennen wir biefe wiſſenſchaftliehr Secte nur aus Petrarca's Schilderung, und dieſer hebt als ihr Gegwer allein die negativen und anftößigen Lehren hervor. In Venedig lernte er fie (etwa 1366) kennen, viel weiter verbreitet war fie jedeufalla, aber herrſchend oder auch nur auf den Hochſchulen populär wer fie ebenſo gewiß nicht. Ihre Tendenzen waren au ſich nur Wenigen zu⸗ gänglich, bie Mitglieder ſcheinen eine Art Gehrimband gebildet zu be
) Epist. rer. variar. 29. nennt er Augustini scatentes lacrymis Confessio- num libros, de quibus quidam ridiculi homines ridere solent. ) De remedio utr. fortunae Lib. I. dial. 46.
I. Die Secte der Anerzsiften. 53
ben, der entwener nur durch ſtilles Einverſtändniß und gewiſſe Stich⸗ werte zuſammenhielt oder auch in ſeiner Berzweigung und feiner Stellung neben der Kirche an das Freimaurer und Logenweſen wenigſtens er⸗ innern mag, wenn wir auch den behaupteten Zuſammenhang zwiſchen Awerroiſten und Freimaurern deshalb nicht vertheidigen wollen. Von einem Ausläufer dieſer Secte, der in Florenz fein Weſen trieb, N ken wir noch zu ſprechen.
Es waren die „modernen Philoſophen“, „die Bekenner einer neuen geheimeren Weisheit“, eine Geſellſchaft von Freigeiſtern. Im Stolze anf ihre dialektiſche Kunſt erklärten fie nämlich jeden Autoritätsglauben ſür einen Nothbehelf ſchwacher Seelen. Sie ſtellten den Geiſt möglichſt auf den Geiſt allein, wieſen alle Vorausſetzungen zurück außer denen, welche die finnliche Wahrnehmung und die Logik aufſtellen, und trium⸗ phirten nur in ſolchen Reſultaten, die fie dem abſoluten Denken zu verdanlen meinten. Es war alſo, wenn wir recht ſehen, die ſcho⸗ laſtiſche Methode, die ſich von allem Stofflichen und von jeder Zucht, auch der kirchlichen, loszumachen ſtrebte, um auf eigene Hand als Wiſſenſchaft, als eigentliche Philoſophie aufzutreten. Wie aber gemein⸗ hin die eine Autorität nur bei Seite geſchoben wird, um eine andre an ihre Stelle zu ſetzen, ſo wurde Ariſtoteles von dieſer Schule wie dur Prophet und ſeine Commentatoren, zumal Averroes, wie die Evan⸗ geliſten verehrt. Die Naturwiſſenſchaften, inſofern ſie auf der reinen Empirie beruhen, gaben häufig den Stoff zu Disputationen, aber ſtatt den eigenen Augen zu vertrauen, ging man doch auch hier auf Ariſto⸗ wles und die Araber zurück und ſtritt ſich, dürfen wir Petrarca als einem Gegner der Secte glauben, mit großem Ernſt über die unphilo⸗ ſaphiſcheſten Probleme, zum Beiſpiel wie viele Mähnenhaare der Löwe oder wie viele Federn der Habicht im Schwanze habe, wie ſich die Elephan⸗ ten begatten, ob wirklich der Krokodil das einzige Thier ſei, welches die obere Kinnlade bewegen könne, ob wirklich der Phönix in die aro⸗ matiſchen ä ſtürze und aus der Aſche neu geboren werde und dergleichen.
Auch gegen das Chriſtenthum ſtellten ſich dieſe Philosophen ganz ſalbſrſtändig obwohl ſie, verſtehen wir eine Andeutung Petrarca's recht, zum großen Theil Mönche waren. Doch war dieſe Selbſtſtändigkeit ſchon eine Oppoſition, nur daß ſie nicht laut zu werden wagte und ſich damit begnügte, im Gefühl der Ueberlegenheit die gläubige Menge zu verachten. War in dieſem Kretſe von Chriſto, den Apoſteln und dem
54 I. Petrares und die Awverrviſten.
Evangelium die Rede, fo gab es entweder frivole Scherze oder man bezeugte ſich durch Lächeln und ſtumme Winke das ſtolge Wiumerftäntd niß. Bei öffentlichen Dispatationen pflegte man n es werde jetzt „abgeſehen vom Glauben“ geſprochen.
Weil Petrarea als der Großgeiſt feiner. Zeit verehrt werde und auch dieſe Dialektiler ſich auf der Höhe derſelben fühlten, glaubten Fe nicht anders, als er müſſe im Stillen mit ihnen einverſtanden ſein, und einige, die ohnehin mit ihm befreundet waren, nahten ſich im mit dieſer Vorausſetzung. Auch wollten fie wohl, gleich allen Sectirern, un⸗ ter angefehenen und gefeierten Männern Propaganva machen. Doch eben das brachte Petrarca ihrer Gemeinſchaft um ſo ferner. Er hatte ſich immer als ein Individnum angeſehen, das allein und ohne gleichen da⸗ ſtand. Nicht nur feine Gelehrſamkeit war einzig und über jede m fechtung erhaben, er war auch der große Weiſe feines: Jahrhunderte und ſelbſt feine religiöfe Anſchauung theilte er mit einem Lebenden. Was ihm fein Auguſtinus war, vavon hatten jene keine Ahnang, 10 ihr Ariſtoteles war ihm längſt zuwider. Er war überdies ein Greis geworden; man weiß ja, wie Leute ſind, welche das Alter in ur ide ſtimmten Meinung von ſich befeſtigt hat.
So iſt es an ſich begreiflich, daß Petrarca ven ncbermmn While ſophen“ abhold fein mußte. Er ſagt, fe hätten üder Sokrates und Pythagoras, über Platon und Ariſtoteles gelacht, Cicero und Seneca verachtet, über Virgilius gefpättelt, Ambrofins, Auguſtinns und Hiere⸗ nymus für Schwätzer erklärt. Ihnen liege nichts daran, daß die mei⸗ ſten Schriften der Alten verloren gegangen find; venn fie glauben ja ſelbſt genug und Alles zu wiſſen. Die Wohlrevenhett verachteten ſte als wiffenſchaftlicher Menſchen unwürdig. — Wir böten hier ohne Zweifel Aeußerungen, die gerade und nur gegen Petrarca aufpeſtellt werden konnten, die ihn, den Schüler und Verehrer des Alterthums, mit Geringſchätzung trafen und vermuthlich viel von ihrer abſprechenden Schärfe erſt der Phantaftie des Beleidigten verbunden. Es ſind m möglich entwickelte Dogmen der Secte, die doch nicht den Comenentuter Averroes, wie Petrarca ihr dorwirft, verehren und den commentirten Ariſtoteles verlachen kennte. Ueberdies ſagt Petraren an einer andern Stelle ſelbſt wieder, Ariſtstekes ſei ihr Abgott, und er nem fir mit demſelben Spott bald Ariſtoteliler bald Averroiſten. Auch reiten ſte ihn unmittelbar perſönlich. Der Eine ſprach von den Glaubenskämpfen des Auguſtinus wie von einer leeren Fabelet und als Petrarea ihn
I. Peiwaree und die Arrroiften. 55
deshalb wie einen Unglücklichen bemitleiden wollte, entgegnete er lächelnd: Wie thöricht mußt du fein, wenn du wirklich fo glauben ſollteſt, wie du ſprichſt. Ein Anderer, der ihn in ſeinem Arbeitszimmer zu Venedig beſuchte, zeigte im Geſpräche den ganzen Uebermuth feines Unglaubens: r nannte den Apoſtel Paulus einen albernen Schwätzer, hieß Petrarca, der ihn in Schutz nahm, ſpöttelnd einen guten Chriſten ſein und per⸗ ficherte, en glaube von allen den Dingen der Bibel nichts. Wie viel her ſtehe Averroes als Paulus und Auguſtinus, die unwiſſenden Dabelmacher. In Petraxca wallte der Zorn auf, er faßte den Ketzer beim Klelde und warf ihn zur Thüre hinaus. Mochte jo die Geſinnung einzelner unter den abfoluten Philoſophen in, offenbar übertrieben iſt es, wenn Petrarca verſichert, fie zeigten fh Abarall wie ein dichter Haufen von Ameiſen, ihre Zahl wachſe täg⸗ la, ße, füllten die Städte und Schulen, fie ſeien die Richter der Wiſſen⸗ schaft. Nur weil er felbft ſich in dieſem Kampfe als ein gegen die Pulagieher eifernder Anguſtinus fühlte, brauchte er zu demſelben auch elne funchtbaue Schaar von Gegnern; da ex fie nicht vorfand, erſchuf ſie ſeine Phantaſie ſich ſelber. Wie hätte die Kirche gegen ſolche Schaa⸗ sen kacket Leugner gleichgültig, wie hätte uns, wenn auch dieſe Dialek⸗ tiker nur in Disputationen, nicht in Schriften ihre Weisheit fort⸗ pflanzten, alle weitere Kunde von ihnen außer Petrarea's Bericht vorenthalten bleiben können! | Petrarca forderte einen jungen Philoſophen, den Auguſtinermönch digi Marfigli auf, gegen Averroes, den „wüthenden Hand“, der Chri⸗ ſtum und den katholiſchen Glauben anbelle und ſchmähe, und⸗ gegen ſeine modernen Jünger zu ſchreiben.) Es geſchah nicht, vielmehr haben wir Grund zu glauben, daß Marſigli ſich zu den Gegnern fchlug. So ergriff denn der Meiſter ſelber die Feder und verfaßte das be⸗ rühmte Werk „über ſeine eigene und vieler Anderer Unwiſſenheit“.“) Die Tendenz iſt einfach: Petrarca bringt die chriſtliche Einfalt zu Ehren gegen die philoſophiſche Aufgeblaſenheit. Den Philoſophen zum Trotz ſtürzt er ſich in die kriechendſte Demuth, auf welche er dann im Grunde viel ſtalzer iſt als ſie auf ihre dialektiſche Weisheit. Jede Seite des
) Epist. 8. tit. 20 an Marſigli. (Opp. p. 812).
) De sui ipsius et multorum (s. aliorum) ignorantia (Opp. p. 1141 8g. ). Petrarca beendete dieſes Werk zu Arqua am 25. Juni 1370 (Mehus Vita Ambr. Travers. p. 238). Es ift natürlich die Hauptquelle des oben Erzählten. Dazu kom⸗ men epist. rer. senil. V, 3. und XIV, 8 und einige zerſtreute Bemerkungen,
56 I. Petrarea als Apologet des Chriſtenthums.
Buches zeigt uns, wie es nicht ſowohl darauf ankommt, einem über- müthigen Dünkel zu Leibe zu gehen und ihm die abgeriſſene Larve vor die Füße zu werfen, als vielmehr denjenigen ihre Armſeligkeit zu wei⸗ ſen, die an feinem Ruhme zu zupfen, feinem Weisheitsprineipat zu widerſprechen gewagt. Statt der Sache ſelbſt, in welcher Stoff genug zur Polemik lag, hat er immer nur die kleinen Confliete im Auge, in welche er mit einzelnen Gliedern jener Secte gerathen. Das Motiv, welches er ihnen unterlegt und auf welches er in dieſem Werke unermüdlich zurückkommt, iſt wahrhaft abenteuerlich und gewiß nicht von auguſtiniſcher Demuth erfunden. Mit dem Neide nämlich glaubt er den Krieg zu führen: aus Neid gegen ſeinen Ruhm ſuchten ihn die ariſtoteliſchen Ketzer zu ihrer eigenen Unwiſſenheit herabzuziehen und verſchrieen ihn als Verächter des Ariſtoteles.) Ihre Mißachtung ver Religion und ihre Mißachtung ſeines Ruhmes erſcheinen Petrarca als zwei Verbrechen, die ziemlich auf gleicher Stufe ſtehen. Wenn fie un⸗ ter ſich ſind, ſagt er, lachen ſie über Chriſtus und verſchreien mich als einen Unwiſſenden, weil ich aus Gläubigkeit ihnen nicht zuſtimme.) Faſt ſollte man nach feinen Worten glauben, die ganze Secte verdanke nur dem neidiſchen Widerſpruch gegen ſeine Autorität ihren Urſprung und mit ihr ſei die ganze Welt der Wiſſenſchaft gegen ihn in den Kampf getreten.
Wo ſich Petrarca am felgen als Chriſt ie als Vertheidiger der chriſtlichen Religion ausſpricht, da ſtachelt ihn meiſtens der Anta⸗ gonismus gegen die Averroiſten an. Er vertheidigt daher nicht die Hoheit des Chriſtenthums im Allgemeinen, ſondern immer nur die ſeines Chriſtenthums. „Je mehr ich gegen den Glauben Chriſti ſpre⸗ chen höre, deſto mehr liebe ich Chriſtus, deſto feſter bin ich im Glan⸗ ben Chriſti. Denn mir ergeht es wie Einem, der in der Liebe zu ſeinem Vater matter geworden iſt; wenn er aber hört, daß gegen ihn geſprochen wird, ſo erglüht alsbald von Neuem die Liebe, die erloſchen ſchien, und ſo muß es ſein, wenn er ein wahrhafter Sohn iſt. Oft haben mich, und dafür rufe ich Chriſtum ſelbſt zum Zeugen an, die Läſterungen der Ketzer aus einem chriſtlichen Gläubigen zu einem aller⸗ chriſtlichſten gemacht. Denn jene heidniſchen Alten, wenn fie auch viel von den göttlichen Dingen fabeln, läſtern dennoch nicht, weil ſie die
) De ignorantia p. 1142. 1143. 1158. 1164. et al. ) ibid. p. 1156.
I. Petrarca als Apologet des Chriſtenthums. 57
Erkenntniß des wahren Gottes nicht haben und Ehrift Namen niemals hörten“. )
So hat es die verhaßte Ueberhebung ſeiner Gegner dem tämpfen⸗ den Petrarca wohl weſentlich erleichtert, ſeine irdiſche, das heißt hier daffiiche Weisheit vor der himmliſchen zu demüthigen und in dieſer: Demuth feinen Ruhm zu ſuchen. Geſtehen wir zu, daß er in allen. ſeinen Schriften von der chriſtlichen Lehre mit Ehrerbietung geſprochen, aber erſt in ſpäteren Jahren und ſeit jenen Conflicten liebte er es, fie recht gefliſſentlich und ausdrücklich ſelbſt den heidniſchen Philoſophen gegenüber emporzuheben. Er ruft Gott zum Zeugen an, daß er lieber ein tugendhafter Menſch als ein Gelehrter fein wolle, er erbittet ſich. ton ihm Demuth, Einſicht in feine Unwiſſenheit und Gebrechlichkeit, um vor dem Hochmuth der Ariſtoteliker bewahrt zu bleiben. Einer, ver Kleinsten, die an Gott glauben, tft ihm größer als Platon, Ariſto⸗ teles und Cicero mit aller ihrer Weisheit; denn Chriſto gegenüber find fie nur gebrechliche Menſchen, die vielfach irren, und ihre Lehre iſt ohne Autorität. Hielten ihm ſeine Gegner vor, er ſei ein allzu eifriger. Eiceronianer, fo antwortet er: ja ich bin Ciceronianer, aber wo die höchſten Wahrheiten der Religion, wo das ewige Heil in Betracht kommt, da bin ich weder Ciceronianer noch Platoniker, ſondern Chriſt. Auch iſt er überzeugt, daß Cicero Chriſt geworden wäre, wenn das Evangelium an ihn hätte kommen können, gleichwie Auguſtinus kein Bedenken trägt, daſſelbe von Platon zu behaupten. Das Chriſtenthum iſt ihm die einzige und unerſchütterliche Grundlage aller wahren Wiſſen⸗ ſchaft, auf die allein der menſchliche Geiſt bauen darf. Das Evange⸗ lium ſoll ihm immer im Ohre klingen, auch wenn er die San philoſophiſchen und geſchichtlichen Werke der Alten lieſt.)
Wir finden es nun erklärlich, daß ſelbſt die ſtrengen Männer des Glanbens und der Kirche Petrarca trotz feiner Beſchäftigung mit dem Heidenthum nicht antaſteten, vielmehr bei feinen Bewunderern ſtanden. Auch in ſpäterer Zeit hat die Kirche den Vater des Humanismus mit Wohlgefallen zu ihren Streitern gezählt. Abgeſehen davon, daß ein paar ſeiner poetiſchen Epiſteln, die gegen das avenionenſiſche Papſtthum gerichtet ſind, im Index der von der katholiſchen Kirche verbotenen Bücher ſtehen, hat keine Inqniſition in feinem Laura⸗Cultus oder in
) ibid. p. 1151. ) ef. de . p. 1145. 1146. 1162. 1163; epist. rer. anl. VI, 2 ot al.
58 | K Petrarca als Weltweiſer. 5
feiner ſchwürmiſchen Verehrung der Alten einen Auſtoß gefunden. Wir freilich ſehen die Sache, vom Erfolge belehrt, anders an. Jene Künſt⸗ ler des formalen Denkens, gegen die er kämpfte, haben dem Glauben keinen weſentlichen Schaden mehr zugefügt; denn ihre Lehre konnte auch nicht den Schein eines neuen Inhaltes bieten. Die Jünger Petrarcais dagegen find in jener religiöſen Schen am wenigſten ihrem Meifier gefolgt: oft haben fie, die ſprühende Fackel des Heidenthmas in der Hand, mit der ermatteten Sonne des Glaubens zu wetteifern sera! und nicht ſelten ſich des Sieges rühmen dürfen.
Petrarca's Auftreten gegen die Averroiſten zeigte uns bereits ein charakteriſtiſches Stück aus dem Gewebe ſeiner Serle; wir entrollen dieſts Gewibe ganz und finden es entſprechend. Er wollte mehr ſein als ein gefeierter Schriftſteller, er wollte als Weltweifer hoch über ſei⸗ nem Zeitalter thronen, bewundert und verehrt wie eine Sonne, von deren Strahlen man nicht weiß, was fie ſind und von wannen fie kommen. Ein Gedanke von ſtaunenswerther Kühnheit und Neuheit, auch wenn wir im voraus eingeſtehen, daß er höchſt unvolllommen ansgrführt wurde, daß der Prophet auf ‚nen Schritte die mrenſchliche 198 zurückließ.
Petrarca bedurfte auch hier der Folie, des dunkeln S 1 5 welchen feine eigene Geſtalt deſto leuchtender abſtach. Gleichwie er ſich jeue Averroiſten nicht bösartig und gefährlich genug voyſtellen
kbeunte, kann er auch fein Jahrhundert, die ihn umgebende Welt nicht
ſchwarz genug ausmalen. Mag er ihr nun das roſige Alterthum en getzeuſtellen oder mag er mit den Mönchen über den allgemeinen Sün⸗ deupfuhl zetern, immer fühlt er nur ſich ſelbſt als den großen Men⸗ ſchen, der in dieſes erbärmliche und entartete Daſein gebannt ſei. Seinem Jahrhundert zu Liebe will er nicht ſchriftſtellern und wirken, denn ihm könne in feinem Elend nicht mehr geholfen werden. Um „diejenigen zu vergeſſen, mit denen ein ungünſtiger Stern ihm zu leben beſchteden, will er im Geiſte mit feinen großen Ahnen des Alterthums, in wirklichen Leben aber feine einſame Bahn wandeln.) Dennoch heat er in jüngeren . den e der Luſt gekoſtet wie nur einer, und
) Epist. de reb. famil. VI, 4. Aehnliche Neußerungen finden ſich überall in ſeinen Schriften. Noch in der epist. ad posteritatem (vor der Ausgabe ſeiner Werke gedruckt), welche gleichſam ſein Teſtament an die Nachwelt iſt, ſagt er: Incubui unice inter multa ad notitiam vetustatis, quoniam mihi semper astas ista (kostxk) displiowit ect.
I. Pettatea als Weltweiſer. Ks
fo tief er ſein Iabchimbert: verachtete, hat er voch feine N nie ewibehren knnen.
Auf welchem Felde wir nun Petrarca's Gedankenlauf Be immer finden wir ein redliches Streben nach ber tiefften Wahrheit ge miſcht mit dem eitelſten Haſchen nach dem Scheine, ein ſtetes Ringen der beſſeren Einficht mit der unüberwindlichen Lüge im Herzen. Peketrured wollte die ftotfche Philofophie nicht nur in ſeinen Schrif⸗ ten, ſondern auch in ſeinem Leben darſtellen. Das Merkmal eines ichten philoſophiſchen Strebens ift ihm, daß ein hochbegabter OGeift ſuch beſcheiden in anſpruchsloſe Verhältniſſe zurückziehe, Alles gering achte außer Wiſfenſchaft und Tugend, vor Altern aber jede Eitelkeit und Oſtentation verſchmähe. Als Schriftſteller und Dichter ruhte fein Stolz auf der Eloquenz, jener gefährlichen Kunſt, weſche freilich ſchuell die Bewunderung mit ſich reißt, aber oft den Schreibenden oder Rebenden nicht minder täuſcht wie den Leſer oder Hörer. Diefe Gefuhr hat Petrarca mit unbeirrtem Scharfſinn erkannt. Die Kloquenz ſoll ihm eine keuſche Mufe ſein. Er weiß es, daß ſte, um Werth zu haben, mit Tugend und Weisheit verbunden fein muß, nur dann fei ſie „ein großes Mittel zum Ruhme“. Die ſchmeichleriſche Süßigkeit und den trügerfſchen Schmuck der Rede vergleicht er dagegen mit der Schminke ener Dirne oder mit honigſüßem Gift.“) „Es iſt eine windbentelhafte Ruhmfucht, lediglich durch den Glanz der Worte ein Anſehen unter den Menſchen zu ſuchen“.) — „Auf die Thaten richte deinen Geiſt! In den Worten ft eitel Großthun, mühſeliges Ningen und hohler Klang, in den Thaten iſt Ruhe, Tugend und Glück“.) So klef durch⸗ bringt ihn vie Erkenntniß dieſes Widerſpruches, daß er ſich ſogar ver⸗ pflichtet fühlt, dem hochverehrten Cicero feine Schwache vorzuhakten⸗ „Was hilft es, andre zu belehren, was nützt es, immer in den prüch⸗ tigſten Worten von den Tugenden zu reden, wenn du dir ſelber daber nicht folgſt“? ) Er wirft dem Römer vor, daß er trotz feinen: ſchöͤnen ſtotſchen Grundſäͤtzen, die er mit fo hinreißender Redekunſt auszuſpre⸗ chen wiſſe, doch immer zu klagen habe, bald über Verbannung und
—
1) De remed. utr. fort. Lib. I. dial. 9.
) Epist. ad posteritatem.
5) De remed. Lib. II. dial. 102.
) Brief an Cicero (Opp. p. 780). Zu Arezzo befand ſich ein Brief, in wel⸗ chem ein Spaßvogel als Cicero dem N antwortete. el. Leonardi Bruni epist. IV, 4 ed. Mehus. |
0 I. Petrarea als Nepublicaner und Finſtendiener.
Krankheit, über die Wirren des Gerichtes und des Forums, bald über den Verluſt von Geld und Gütern und über die Beeinträchtigung, ſei⸗ nes Ruhmes, daß man in ſeinen Briefen oft ſchmähende Angriffe auf Männer finde, die er kurz vorher gelobt.) Dieſer Widerſpruch zwi⸗ ſchen Wort und Handlung, dieſe ſelbſtgefällige Geſinnungsloſiskeit, auf die im Grunde Alles herauskommt, was man in unſerer Zeit gegen Cicero ſcharf, und ſchärfer geltend gemacht hat, ſpürte alſo ſchon Pe⸗ trarra mit feinem Inſtinet heraus und zwar deshalb, weil er in ſich ganz denſelben Antagonismus, daſſelbe Schwanken vorfand. Wie er zu Cieero, ſo fügte fein Auguſtinus zu ihm: „Was nützt es dir, audern nech ſo ſüße Dinge vorzuſingen, wenn du dich ſelber nicht hörſt “?) „Wie viel mehr — fo geſteht Petrarca einſt — liegt uns Allen, die wir im Staube der literariſchen Paläſtra leben, die Wohlredenheit am Herzen als unſer Leben, wie viel eifriger 8 wir a dem . als nach der Tugend“ !)
Es war eine freie ee rohe Stellung, die Petrarca der Mitwelt gegenüber einzunehmen gedachte: er wollte ihr auf der Wolken⸗ höhe des Gedankens, der Philoſophie erſcheinen, erhaben. über irdiſche Portheile und menſchliches Lob. Die Schranken, welche edlere Geburt und Abkunft zwiſchen dem Menſchen und dem Menſchen ziehen, ſchwinden vor feinem Blick. Berühmtheit, fagt er, wird nicht durch edle Geburt erworben, ſondern durch das Leben. Es iſt lächerlich, ſich fremden Verdienstes zu rühmen; ja die Flecken entarteter Enkel werden durch den Glanz und Ruhm der Vorfahren erſt recht hervorgehoben.) Dem⸗ gemäß iſt Petrarca ein ſtolzer Republicauer, wo er ſeinen Theorien den Lauf läßt, die Fürſten erſcheinen ihm dann als Phalariden und Dionyſe, denen ein Platon mit freiem Wort entgegentreten muß. Den⸗ noch zog es ihn an die Höfe der Fürſten und in die Paläſte der Vor⸗ nehmen; er bürgerte hier den Humanismus ein, der dann Jahrhunderte lang als ihr ſchönſter Schmuck galt. Er hat bei König Noberto von Neapel, bei den Correggi zu Parma, den Visconti zu Mailand, den Carrara zu Padua gelebt. Unter den Adelsfamilien, deren innigſter Vertrautheit er ſich rühmen durfte, nennen wir nur die Colonna, die
) Praefat. in Epistt. famil. (Opp. p. 635).
) De contemptu mundi Dial. III (Opp. p. 415). ), Epist. rer. variar. 32. | 2) De remed. utr. fort. I, 16. II, 5.
I. Pemasta dis. Nepabldautt und Fusftrudiener. 61
er. zu berſaben Zeit mit Schmeicheleien bedachte, in welcher er als Cola s Matteigänger und als Organ des Republicanismus den vn ſchen Adel ein räuberiſches Geſchlecht von fremden Eindringlingen nan. Der Dichter füß mit den Großen der Welt zu Tafel und empfing ihre freundſchaftlichen Befuche. Wie vergötternd ſchauten ſelbſt Fürſten zw ihm empor; er hat darin nur im Philksſophen von Ferney feines: gleichen gehabt. Zu derſeiben Zeit rief ihn der römiſche König zu fich, der König von Frankreich ind ihn mit Geſchenken, der Papſt übertrug ihm zwei Pfründen und verſprach ihm viel mehr, wonn er zu ihm als Secretär Tonnen wolle.) Petrarea war ſchon ein Greis, da wünſchte ihn Urban V. bei ſich zu ſehen: er ſollte weder ein Amt noch eine N. beit Übernehmen, ſondern nur durch feine Anweſenheit bie Curie zie; ren.) Jummer entſchuldigte ſich der Philofoph mit feinem. Alter oder feiner Kränklichkeit. Er ließ ſich aufſuchen und bitten und, erſchien um jo großartiger, wenn er die Ehre abwehrte. Er habe nie zum Vor⸗ trauten der Herrſcher gepaßt, fchrieb er ſeinem Bruder, und paſſe jet als Greis am wenigſten dazu; er wolle ſich zu einem ruhigen, mäßigen und einſamen Leben zurückziehen, leſen, . und = =. übungen au feiner Seele arbeiten. in
Aber alle jene Ehven erlangte Petraroa nicht ohne ige au a phikofophiicheh ährunsfägen. Er wußte die Ohren der Füͤrſten dunch wit ſüßen Töne der demüthigen Verehrung und jener Dankbarkeit zu gewen⸗ nen, die zum Entgelt fü Ehren und Wryhlthaten die Verherrlichung des Namens durch den Mund des Dichters verheißt. Gern rühmt er ſich da; mit, wie ſich die Könige und Bäpfte um ſeine Perſon bemuht. Aber ſtulzen noch rühmt er ſich, daß er ſtets ein völlig freier Mann geweſen, daf er nie in einer Lage geblieben fein würde, die ihn feinem Selbſt und ſeinen Studien auch nur ein wenig entzogen hätte. Niemand könne fügen, daß er viel Zeit im Dienſte von Bärſten verbereg. Ohr. State uh habe ihn nie — daran zweifeln wir nicht — ihre Geſtmähler feiten gefeſſelt. Wenn Alles ſich im Palaſte tummelte und Vn und. Hen beängte, fer er im füllen Zimmer bei feinen: Büchern geblieben onen infa nachdentend ins Grüne hinauagegangen. o ſei er nur zm
) Epist. rer. senil. I. 1. XIV, 6.
) ibid. XIV, 3. Vom Anbieten eines Cardinalats“ weiß allein 8 5 len tone (bei Mehus Vita Ambr. Travers. p. 200) zu . a
) ibid. XIV, 6. E
L
7 L Pema s Anachertt und MWinkubenjliner,
Schein bai den Jürſten, in Wahrheit aber die Fürſten bei Wut geweſen; wollien fie ſein Geſealſchalt, ug müßen e m ſeiner Nonne on qui...)
* ſolche Lage erwirbt man nicht 1 Bebenehunft, duch ber Bllofopg will eſſen und trinken und an den Gütern biefer Welt kie⸗ ber einen etwas reichlichen Antheil haben als ben bittern Becher der Embehrung koſten. In der Wirklichleit wußte Petrarea gerade die goldene Mitte zu treffen, in der ſich's am behaglichſten lebt. Doch ſchwankt er hier auch in der Theorie. Bald ſchien ihm die genleßenbe Nuhe eines Horatius wünſchenswerth und er wollte die beeugende fx muth in dem Sinne vermeiden, daß er in vollem Maaße hatte, was ſein Herz begehrte; er habe, meinte er dang, die beſchräukte Mittel mäßigleit zwar lieben, aber nicht ertragen gelernt.) Bald hüllte er ih in den anacherstifchen Mantel, konute Gold und Schlitze nicht ger ung verachten und verdammen, wollte fich nur von Früchten ud Quell- weiler nähren, wünſchte ſich nichts als einen guten Tod. Einem Dienste, una an der Exrie, wollte er ſeine Freiheit nimmer zum Opfer brin⸗ een; ein Secretariat, ja ein Bisthum und jedes mit Seslſopge ver⸗ bundene Beneficium wies er mit dem ſtolzen Grunde zurück, er habe wit der Sorge für feine eigene Seele genug zu thun. Aber ven pfrün⸗ den zu leben, für die er nichts leiſtete, fuͤrſtliche Geſchnule zu weinen, die ex nur mit ſchmeichleriſchem Danke vergalt, das beleidigte feinen Stolz nicht im mindeſten. Wir erinnern an das ſchretendſte Bade ſpiel, wie er mit der röntiſchen Deputation und als roͤmiſcher Bürger m Avignon vor Clemens VI. ſtand und dem franzufüfchen Papſte ſo ger füllig ſprach, R C . wurde.
Noch als Greis, während er. im Rufe eines phikofopkikten Heilt een int Argna feine letzten Oehre hintebte, verſcherähte er es nicht, bee Gasft des Papſtes zur Erhöhung feiner Einkünfte zu benutzen. Mer wich mund aber iſt ſetne Art zu bitten. Er habe wohl fo wiel, als etws um Lein eitges Canonilers hiureiche. Da er indeß für mehrere Was funde ır 85 gerade kein Erforderniß für einen Weltweiſen — ſorgen
) ibid. VI, 2. XVI, 2 an Boccaccio. Filippo Villani bei Mehus Vita Ambr. Travers. p. 197: Ceterum quum curias trequentaret invitus et renuens, in illis, quod dicte mirabile est, solitarius erat.
) Epist. rer. senil. VIII, 3.
I. Petrarca als Anachoret und Pfrfinbenjäger. 88
mirſfe, fo erwüͤchſen ihm daraus fo viel Koſten, als etwa die Erhaltung eines ganzen Capitels verurſachen würde. Gern lebe er einſam und einfach auf dem Lande. Doch müſſe er Diener halten — „o könnte ich doch ohne fie leben!“ — ſich mit zwei Pferden und drei Schreibern begnügen. Bisweilen, wenn er allein und in feiner Weiſe zu ſpeiſen wünſche, komme eine Schaar von Gäſten, die er doch anuſtändig bewir⸗ then müſſe, um nicht geizig zu erſcheinen (!) ) Niemand könne ſo leicht, wenn er nur wolle, eine Wohlthat ertheilen, als der Papſt; er aber, der Dichter, wiffe nicht zu bitten, da er über ſolche Dinge wenig nach gedacht. Doch Eines mache er bemerklich: übertrage man ihm eine Pfründe, fo dürfe man feines Alters und feiner Hinälligleit wegen darauf rechnen, fie bald einem Andern verleihen zu können.) — Go zierlich Petrarca dieſe Operation eingeleitet, ſchlug fie doch fehl. Lin Freund von der Curie ſchrieb ihm, der Papſt ſei ihm zwar fehr gün⸗ ftig, werde indeß ſchwerlich viel für ihn thun, weil vie Schaar ber neu⸗creirten und heißhungrigen Cardinäle ihn ganz in Anſpruch nehme. Jetzt warf ſich Petrarca deſto mehr in feinen Stolz, weil er das beſchämende Gefühl nicht los wurde, daß er ſich im Bitten erniedrigt. Jetzt verſicherte er erſt recht energiſch, er habe nach irviſchen Gütern niemals Verlangen getragen, er werde ſich wenig darum kümmern; sb man ihm ein großes oder ein beſcheidenes Theil oder nichts zukommen laſſe. Aber feinem Aerger über die unerfättlichen ‚Brälaten muß er Luft machen. Die verſagte Pfründe wird in ſeiner Phantaſie alsbald zum Sinnbild und zum Merkzeichen der übolverwalteten Kirche: der Papſt ſcheint ihm zu allem Guten willig, die Carpinäle aber ſind ihm die Anwälte alles Böſen. „Ich und die Wahrheit, ſagt er, haben an der Curie große Gegner, die meinem Vortheil und meiner Ehre mit aller Gewalt entgegenfichen. Mit welcher Verachtung fieht er nun auf den Haufen der aufgeblafenen Cardinale herab, während er fid durch das freundliche Wort jedes einzelnen hochgeſchmeichelt fühlen würde. An ihnen werde nur die Infel und der rothe Hut geehrt; die Ehre dagegen, die ihm, dem Dichter, gezollt werde, gelte auch ihm ſelber. Und weil ihm das Denken an den Tod das Hauptmerkmal des Pike
1) Zur beliebigen Auslegung diene folgende Notiz des Cecco Pol enton e (bei Mehus l. c. p. 199) ifher Petrarca: Pinguior enim simul et senior factus est.
) Epist. var. 44. an Franc. Bruni. Im letzten Theile des Briefes ſtimmen mehrere Sätze faſt wörtlich mit dem Schluſſe von epist. rer. senil. XIII, 12. an denſelben Bruni überein. Letzterer Brief iſt ſeinem Inhalte nach der ſpätere.
64 I. Petrarca als phileſophiſcher Einſtedler.
ſophen zu fein ſcheint, ſtellt er die in Pomp und Schwelgerei genießen⸗ den Cardinäle, um ſie recht tief zu verachten, in die Reihe derer, welche den Todesgedanken fliehen.)
Hundertmal erzählt uns Petrarca, wie er gern den Lärm der Stadt und der Menſchen gemieden, ſich in die Eiuſamkeit zurückgezogen, im ſtillen Studirzimmer über ſeinen Büchern geſeſſen, oder wie er durch Wald und Fluren wandelnd, den Vögeln oder dem murmelnden Quell lauſchend, allein und in ſich ſelbſt vertieft ſeinem Denken und Dichten nachgehangen. So ſchildert er ſich nicht etwa nur in feinen Reimen, auch in den Briefen und den philoſophiſchen Schriften iſt er unermüdlich, dem Leſer dieſes Bild ſeines Dichterlebens einzuprägen.) In welchem Lichte er da ſeinen Zeitgenoſſen erſchien, ſehen wir an Boccaccio, der vou der Zurückgezogenheit ſeines Freundes jedesmal mit geheimnißvoller Ehrfurcht wie von der Göttin des ariciſchen Haines ſpricht. Die Quellen der Sorgue wurden ſchon unmittelbar nach Petrarca's Tode den Reiſenden als die Wunderſtätte gewieſen, an welcher das Buch uvom einſamen Leben“ entſtanden ſei.) Auch jetzt noch verknüpft die Phantaſie das Andenken an den melodiſchen Sänger Laura's am lieb⸗ ſten mit dem zauberhaften Thale von Vaucluſe, und den gelehrten Pe⸗ trarea, über feine lateiniſchen Bücher gebückt, denken wir uns unwill⸗ lürlich im beſcheidenen Häuschen zu Arqua, vor dem Fenſter jener Gärten, deſſen Olivenbäume er mit eigner Hand gepflanzt und gepflegt.
Die römiſchen Dichter fingen von dieſer idylliſchen Einſamkeit, die Mönner des Krieges und der Staatsverwaltung im alten Rom liebten die ländliche Zurückgezogenheit und die literariſche Muße. Sie zunächſt waren Petrarca's Vorbilder. Dann aber fühlte er ſich deſte erhabener über die Maſſe der gemeinen Menſchen, wenn er ihrer Weiſe, das Leben mit plumpen Sinnen zu genießen, entſagend, ſeinen Geiſt nur im traulichen Verkehr mit ſich ſelbſt und mit den Geiſtern der Vorwelt ergötzte. Man hat viel von W
9) Epist. rer. senil. XIII, 12. 13, beide an jenen Bruni, feinen ee
an der Curie. ) Nur ein Beiſpiel, wie er fein Leben in Feld in Wald ſchildert, aus 8 metr. I, 7: Saepe dies totos agimus per devia soli, Inque manu calamus dextra est, at carta sinistram | Occupat, et variae complent praecordia eurae. ) Dominicus Aretinus bei Mehus Vita Ambr. Travers, p. 198.
I. Petrarca als philoſophiſcher Einſtedler. 65
Zuge in Petrarca geſprochen, aber wie ſehr hat man ihn da mißver⸗ ſtanden! So gern er von ſeinen Faſten, Nachtwachen und Entbehrun⸗ gen redet und ſein beſchauliches Leben zur Schau trägt, ſo iſt doch ungleich mehr von dem Stolze des gelehrten als von der demüthigen Einfachheit des religioſen Standes in ihm. Er hat ein Buch über das Leben in der Einſamkeit geſchrieben, welches zwar den Kloſterleu⸗ ten, die ihren Stand darin verherrlicht ſahen, unmäßig gefiel, aber ſich von den erbaulichen Betrachtungen mönchiſcher Richtung ſchon durch die philoſophiſche Behandlung und den glänzenden Rednerſtil deutlich genug unterſcheidet, auch den ſtill⸗grübelnden Philoſophen des Alter⸗ thums und den chriſtlichen Einſiedler in bedenklicher Weiſe auf eine Stufe ſtellt. Es predigt, genau genommen, nicht die einförmig⸗fromme Stille des Kloſters, ſondern die Ungeſtörtheit des Studirzimmers und die Wonne des einfachen Lebens mit der Natur, die den Lärm der Außenwelt gern entbehren, um ein inneres, mannigfaches Leben deſto reicher zu entfalten. Leſen, Schreiben und Denken, ſagt Petrarca, ſeien immer feine hoͤchſte Luſt geweſen ); in dieſem Sinne rühmt er die Güter, welche ihm die Einſamkeit gewähre und nur ſie gewähren könne: Ruhe, Freiheit und Muße. Wenn er unaufhörlich arbeitet und ſchafft, fühlt er die Fülle des Daſeins in ſeiner Bruſt. Als einſt Boccaccio meinte, er dürfe endlich auf ſeinen Lorbeeren ruhen und ſich ein be⸗ quemes Alter gönnen, wies er dieſen freundſchaftlichen Rath als feiner mwärbig zurück.) Ein ander Mal hatte ihm derſelbe Freund die Werke des Auguſtinus in einem fehr ſtarken Bande geſchenkt. Nun, vorſicherte ihm Petrarca, verſdume er bei der eifrigen Lectüre manche Mahlzeit und manche Nacht gehe ſchlaflos hin. Dieſes Leſen ſei ſeine einzige Luſt; da⸗ von ahne freilich der Pöbel nichts, der außer dem Sinnenreiz kein Ver⸗ gnügen kenne.) Aus demſelben Nimbus, in den er ſo gern ſich hüllte, erſchien ihm auch das Familienleben verächtlich. Sein abgeſchloſſenes gelehrtes Treiben ſollte auch in dieſer Beziehung ein modernes Mönch⸗ thum ſein. Das Studium der Philoſophie und eine Gattin, findet er, wohnen ſchlecht bei einander; denn das Weib ſei der wahre Teufel, der Erzfeind des Friedens und der Seelenruhe. Oft führe die Ehe zu Gefahren aller Art, öfter zur Schande und faſt immer zu Ueber⸗
) Epist. rer. senil. XIII, 7; Invect. c. medicum Lib. IV (Opp. p. 1225) ) Epist. rer. senil. XVI, 2. ) Epist. rer. variar. 23.
Voigt, Humanismus. 5
66 I. Petrarea als phllofophiſcher Einfiebler.
druß und Ekel. Wer die Wolluſt und den Kinderlärm liebe, möge eine Gattin nehmen und auf dieſe Weiſe für die Ewigkeit ſeines Fa⸗ miliennamens ſorgen. „Wir werden, wenn es Uns gegeben wird, Un⸗ ſern Namen nicht durch die Ehe, ſondern durch den Geiſt, nicht durch Kinder, ſondern durch Bücher, nicht mit Hülfe eines Weibes, ſondern mit Hülfe der Tugend ausbreiten”. ')
In dieſe gelehrte Einſiedelei will Petrarca vor den Menſchen fliehen, um ihren anſtaunenden Blicken zu entgehen und das Lob ihres Mundes nicht zu hören. Deſto ungeſtörter genoß er in ſei⸗ ner Phantaſie die Fülle des Ruhmes, den ihm gerade der Ruf von ſeiner geräuſchloſen philoſophiſchen Muße eintragen mußte. Je mehr er ſich vor den Huldigungen der Menſchen zurückzuziehen ſchien, vefte neugieriger ſuchten ſie den außerordentlichen Mann auf. Wie ehrend, menn viele und namhafte Männer zum Thale von Vaucluſe wallfahr⸗
teten, nur um ihn zu ſehen und zu ſprechen!“) Wie ſüß, als ihn die Einladungen zur Dichterkrönung an den Quellen der Sorgue aufſuchen mußten! Zu König Syphax, erzählt er, kamen die Geſandten von Rom und Karthago, um ihn zur Bundesgenoſſenſchaft und Hülfe aufzufordern, ſie fanden ihn auf ſtolzem Thron und von Trabanten umgeben; mich fanden jene Einladungen, während ich einſam morgens in den Wäldern, abends am Ufer des Fluſſes umherſchweifte.“)
Und daſſelbe Gefühl, mit dem er jene beſuchenden Fremden und jene Einladungen zur Lorbeerkrönung empfing, trieb ihn zu audern Zeiten wieder recht mitten unter die Menſchen. Dann hatte er nirgend lange Ruhe, zog von einer Stadt zur andern, unerſättlich überall den dargebrachten Weihrauch einſchlürfend. Selbſt Scipio Africanus — ſo entſchuldigt er dieſen Wechſel des Aufenthaltes — ſei durch den täglichen Umgang in den Augen der Römer eine gemeine Perſönlichkeit geworden; was habe da ein Anderer zu hoffen, der kein Scipio ſei und nicht unter Römern lebe!)
Wir haben Petrarca's eigenes Geſtändniß, welches jeden Zweifel abſchneidet und über feine Einſamkeit zu Vaucluse, in ſeinem Linternum zu Garignauo und in den euganeifchen Bergen den einfachſten Aufſchluß
) Epist, rer. senil. XIV, 4 (Opp. p. 1034).
) Invect. c. medicum 1. c. (Opp. p. 1226).
) Petrarca Thomae Messanensi vom 23. Auguſt 1340; (Opp. p. 1251). 9 ar rer. senil. VI, 2.
I. Petrarca's Frenndſchaftsenltus. 67
giebt. Allerdings habe er oft die großen Städte und die Feierlichkeiten der Menſchen gemieden, ſich in den einſamen Wald und die ſtille Flur zurückgezogen. Aber das Motiv ſei doch gerade fein Ehrgeiz geweſen. Er habe ſich dieſer Flucht vor der Verehrung der Menſchen zu rühmen gedacht, er habe den gemeinen, vielbetretenen Weg des Ehrgeizes ver⸗ laſſen, aber auf einem andern Wege wieder demſelben Ziele zugeſtrebt: der Endzweck ſeiner Einſamkeit, ſeiner ſtillen Studien ſei doch immer der Ruhm geweſen.)
Cicero hat ein Buch über die Freundſchaft geſchrieben; wie oft und emphatiſch ſpricht Seneca von ihr in ſeinen Briefen! Auch Petrarca meinte ohne ſie kein vollgültiger Philoſoph zu ſein. Noch in ſeinem Brief an die Nachwelt rühmte er ſich, er habe mit dem eifrigſten Ernſte nach ehrenhaften Freundſchaften geſtrebt und ſei ihr treueſter Pfleger geweſen.) Immer ſpricht er mit begeiſterter Liebe von ſeinen Freun⸗ den und als fie alle vor ihm das Zeitliche geſegnet, mit gerührtem Andenken. Was ihm aber ſeine Freunde ihrerſeits geweſen, ſehen wir nicht recht. Selbſt die vielgeliebten Lälius, Jacopo Colonna und Boc⸗ caccio nicht ausgenommen, erkennen wir nirgend die Natur eines per⸗ fönlichen Verhältniſſes, auf welchem der Freundesbund beruht hätte. Sie waren eine Auswahl ſeiner Verehrer. Die Briefe, die Petrarca an fie richtet, gehen auf ihre Verhältniſſe faſt niemals ein, es ſind meiftens Selbſtgeſpräche, mit deren Adreſſe der Freund beehrt wird. So iſt Petrarca die Freundſchaft nicht ein Genuß, der in der Fähigkeit und Freude der Hingabe läge und die Menſchenliebe im engeren Kreiſe übte, fie iſt ihm ein Apparat, deſſen er zum Aufbau feines philo⸗ ſophiſchen Thrones bedarf, der mit Freunden umgeben ſein muß wie ein fürſtlicher mit edlem Hofgefolge. Die bewährteſten ſeiner Freunde erhalten antike Pſeudonymen wie Sokrates, Lälius, Simonides. Andre genießen aus Höflichkeit nicht nur den Titel der Freundſchaft, ſondern noch einige ciceroniſche Wendungen über ſie dazu. „Wer nur Nutzen von ſeinen Freunden ziehen will, iſt ein Krämer der Freundſchaft, nicht ihr Verehrer“ — ſo ſchrieb Petrarca dem Francesco Bruni, der Ab⸗ breviator an der Curie war und von dem er offenbar nichts weiter erwartete, als daß er ihm zu einer Pfründe verhelfe.) Meiſtens in dieſem letzteren Sinne hat dann der Freundſchaftscultus ſeine Rolle in
) De contemptu mundi Dial. II (Opp. p. 389). 2) Epist. ad. poster. I. s. c. ) Epist. rer. senil. III, 13. 5 *
68 I. Petrarca's Neid gegen Dante.
der humaniſtiſchen Literatur fortgeſpielt, wie denn überhaupt ſo Man⸗ ches, was Petrarca noch mit einem großartigen Schimmer zu umkleiden wußte, unter ſeinen Nachfolgern immer mehr der gemeinen Sphäre anheimgefallen iſt. | |
Das Verdienſt und die Größe Anderer ohne Beziehung auf fich ſelber zu wägen und anzuerkennen, war Petrarca völlig unmöglich, es hätten denn die Alten ſein müſſen, an deren ferne Geſtalten der Neid nicht reicht. Keiner der Neueren hatte einen Anſpruch, ihm an die Seite zu treten, nur ragte unter der Menge der Literatoren, auf die er fhanen mochte, Einer wie ein einſamer Felſen hervor, Dante Alighieri. Petrarca vermeidet, von ihm zu ſprechen, er hält ihn mit einer ge⸗ wiſſen Scheu von ſich fern. Als Boccaccio ihm ein Exemplar der göttlichen Comödie verehrt, welches er mit eigener Hand für ihn ab⸗ geſchrieben, glaubt Petrarca ſich entſchuldigen zu müſſen, daß er die Begeiſterung des Freundes nicht theilen kann. Um dem Vorwurfe des Neides zu entgehen, der ihm in der That ſchon damals allgemein zu⸗ gewälzt wurde, verſichert er, daß Dante ihm, hätte das Schickſal ihnen zuſammen zu leben beſchieden, ein theurer Freund ſein würde, daß er ſeinen hohen, durch Armuth und Verfolgung unbeirrten Lebensgang be⸗ wundere. Seine Verachtung müſſen nun die unverſtändigen Verehrer Dante's tragen, die ihren Poeten auf Straßen und in Tabernen loben, ohne ſeinen wahren Werth zu erkennen. Er erſinnt die wunderlichſten Wendungen, um die Unmöglichkeit des Neides darzuthun. Wie könne man glauben, daß er den beneide, der ſein ganzes Leben über, wenn auch noch ſo erhaben, in jener Vulgärſprache geſchrieben, welcher er ſelbſt kaum einen Theil ſeiner jungen Jahre und dieſe nur im Spiele gewidmet. Sei er doch ſelbſt auf Virgilius nicht neidiſch. Auch könne der rohe Beifall der Waſchweiber, der Weinſchenker und ſolcher Tagelöhner ihn nicht reizen, ja er wünſche ſich mit Virgilius und Homeros Glück, wenn er ſolcher Bewunderung entgehe. Nur die Neider ſeines Ruhmes hätten die Albernheit erfunden, als beneide er Dante. Wie ſonderbar Petrarca auch die Beſchäftigung mit der göttlichen Comödie ſelbſt ab⸗ weiſet! Er möge aus dem Gedichte nicht lernen, weil er fürchte, es wider Willen zu beſtehlen. Man fage, was man will, ihn kränkte das bewun⸗ derte Werk und ſein lorbeergekrönter Dichter, er ſchob ſie bei Seite, um die traurige Empfindung fremder Größe und eigenen Neides los zu werden.“)
) De Sade Mémoires pour la vie de F. Pétrarque T. IM p. 508. Bal-
—
U
I. Petrarec's Hochmuth und Eitelkeit. 69
Seinerſeits dagegen weiß Petrarca von Neidern und Feinden oft zu ſprechen. Er bedurfte ihrer, weil dem niedrigen Haufen das Große und Ungewöhnliche immer zuletzt zum Aergerniß wird, weil der Neid den Ruhm zur Folie hat. Er hatte Gegner, ohne Zweifel: die Män⸗ ner der Katheder, die er angegriffen, die Meviciner und Ariſtoteliker voran, werden ihrem Zorn nach Kräften Luft gemacht haben; andre zogen ihr Fachſtudium den Humanioren vor; wieder andre mögen ſich ein wenig reſpectlos über ihn oder über die Poeſie geäußert haben oder ſie verhielten ſich gegen die allgemeine Bewunderung ſeiner Perſon mehr ablehnend, ja mancher wurde offenbar durch das Uebermaaß dieſer Ber wunderung zum Widerſpruch angeſtachelt. Petrarca ſtand ſo glücklich da, daß er weder in ſeinen äußeren Lebensverhältniſſen noch in ſeinem Studienkreiſe von ſolchen Gegnern beläſtigt oder geſtört werden konnte. Er hätte ſie ſo ruhig überſehen können. Aber wo ihm ein laues Ur⸗ theil, ein Angriff auf ſeine Studien oder gar auf ſein Verdienſt zu Gehör kam, wo ſich ihm nicht Alles beſcheiden unterordnete, ſah er ſogleich eine Schaar hämiſcher Feinde und Verſchwörer gegen ſeinen Ruhm, dann brechen ſofort die gereizte Eitelkeit und der Hochmuth, und oft in recht kleinlicher Weiſe, hervor. Jemand, den er zuvor als Freund behandelt, hatte ſich erlaubt, an ſeinen Schriften ein wenig zu kritteln; ſofort griff er ihn mit Heftigkeit als einen „Feind“ an und ließ ihn das ſtolze Sus docet Minervam hören.“) Andre hatten, wie man ihm zutrug, geringſchätzig über ſeinen Geiſt geurtheilt: ſie ſind ihm alsbald „eine Schaar plebejiſcher Geiſter“, die in ihrem Ur⸗ theil um ſo kühner und ſchneller verfahren, je ungebildeter und leicht⸗ fertiger fie find; man muß ihr leeres Geſchwätz verachten und durch Tugend und tiefe Gelehrſamkeit ihren Neid überwinden. Sie können das Licht verdecken, aber nicht auslöſchen, es lebt fort und wird plötz⸗ lich wieder ſtrahlend durch die Wolken brechen. „Viele urtheilen über mich, die ich nicht kenne, auch nicht kennen will und zu kennen nicht würdige. In der That wundert mich, wer ſie zu Richtern über mich geſetzt.) Wieder andre wollten die Poeſie und die Dichter der Alten
delli Vita di Giov. Boccacci. Firenze, 1806. p. 130 e seg. So eben lieſt man in den Zeitungsblättern, daß zu Florenz ein von Petrarca's Hand copirtes Werk Dante's aufgefunden ſei. Doch würde dieſe Nachricht, auch wenn ſie ſich beſtätigte, unſer obiges Urtheil ſchwerlich ändern. 5 |
) Epist. metr. II, 18.
2) Epist. rer. senil. II, 3.
70 I. Petrarea's Bochenuth und. Eitelkeit.
ſo hoch nicht ſchätzen wie er: Maro und Flaccus, ſprachen ſie wohl, ſind ja längſt begraben, warum von ihnen noch viel Aufhebens machen! So ſprachen ſie nach Petrarca's Meinung nur, um ihre Zeitgenoſſen, denen ſie es nicht nachthun können, vom Studium der Alten abzu⸗ ſchrecken, dieſe Literatoren ſind „ein aufgeblaſenes und fauliges Ge⸗ ſchlecht“.) Aehnliche Gegner hatte einſt Boccaccio in einer Streit⸗ ſchrift zurückgewieſen. Petrarca dagegen meinte anfangs auf ſeinem philoſophiſchen Throne zu Arqua, ſie ſeien als alberne Menſchen des Zornes nicht werth, ihr Urtheil habe ihm nur ein Lachen abgelockt; indeß wurmte es ihn doch ſo lange, bis er endlich — wie er uns glau⸗ ben machen will, auf einer Reiſe durch die Langeweile geplagt — die Feder gegen ſie ergriff.) Am bezeichnendſten aber iſt ein Vorfall, der ſeine Bedeutung durch den hohen Kreis erhielt, in dem er ſich zu⸗ trug. Petrarca's Jugendfreund, der Cardinal Colonna, hatte ihn einft dem Papſte Urban dringend empfohlen und in der Wärme der Be⸗ wunderung mehrmals als einen wahren Phönix bezeichnet, der einzig auf dieſer Erde ſei. Dieſes Lob zwar wies Petrarca als das eines übernachſichtigen Freundes zurück, aber er ergrimmte doch ſehr gegen einen andern Cardinal, der über den begeiſterten Collegen und über den Phönix ſeinen Spott losgelaſſen: jener Cardinal ſei ſein Feind, haſſe die Wahrheit und Freimüthigkeit (1), ſei mit dem Teufel recht eigentlich der Vater der Lüge, eine wahre Nachteule.) In feinem Kampfe mit den Averroiſten hätte er es nicht unpaſſend gefunden, wenn eine Art Inquiſition das Heiligthum ſeines Ruhmes geſchützt hätte. Indem er nicht etwa die Ketzer, ſondern nur ſeine perſönlichen Gegner in ihnen angreift, findet er das größte Uebel in der zu weit getriebe⸗ nen Freiheit der Worte, die thörichten Menſchen geſtatte, berühmte Namen durch Spott herabzuziehen; ſie hätten gar leicht die Maſſe, die eben auch aus Thörichten beſtehe, auf ihrer Seite, *)
Für ſolchen Aerger entſchädigte ſich Petrarca durch das Wohlbe⸗ hagen, mit welchem er die Huldigungen auch unbedeutender Perſonen hinnahm.) Zwar verſtand er Lob und Bewunderung mit feiner Ma⸗ nier und freundlicher Beſcheidenheit abzulehnen, aber ſelbſt mit dieſen
1) Brief an König Robert von Sicilien (Opp. p. 1253).
) Epist. rer. senil. XIV, 8.
3) Epist. rer. senil. XIII, 12 an Franc. Bruni.
) De ignorantia (Opp. p. 1165).
) ef. epist. rer. famil. VII, 14. 16. senil. II, I. VI, 3.6. et al.
I. Petrarca's Hochmuth mb Eitelkeit. 11
beſcheidenen Wendungen buhlt er mir um das Lob einer neuen Tugend. Ebenſo oft iſt er ſelbſt die Poſaune ſeines Ruhmes geweſen, ja er be⸗ ruft ſich dafür auf Ovidius, Seneca und Statius, die gleichfalls ihr Fortleben im Nachruhm kühn in ihren Werken geweiſſagt.) Wie ge⸗ wohnlich tritt auch bei ihm die Eitelkeit im höheren Alter mit lächer⸗ licher Unbefangenheit hervor; der Menſch vergißt ſo leicht keine Schmei⸗ chelei, gewöhnt ſich immer mehr an die Imagination feines Werthes und ſeiner Werthſchätzung, wird überhaupt geſchwätziger und darum auch ruhmrediger. Nur ſo läßt es ſich erklären, wie Petrarca feine befſere Einſicht oft glücklich durch einen Schwall von Beſcheidenheits⸗ floskeln zu betäuben vermochte. Als Jüngling, ſo geſtand er einſt, habe er aus Uebermuth Alles verachtet außer ſich ſelbſt; im ernſten Mannesalter habe er nur ſich ſelbſt verachtet; jetzt als Greis verachte er vor Allem ſich ſelbſt und laſſe nur das Wenige gelten, was fich durch Tugend über die Verachtung erhebe.) Gerade auf der Warte des Greiſenalters meinte er am ſicherſten die Frucht feiner Philoſophie zu genießen, wenn er auf ſeinen ſchwellenden Jünglingsſtolz, der doch mir ein andres Kleid angelegt, gleich Einem herabblickte, der über folche Regungen längſt erhaben iſt. Einſt hatte er ſich in feinen jun⸗ gen Jahren vor einem Freunde zu dem ſokratiſchen Bekenntniß er⸗ niedrigt, daß er nichts wiſſe; in älteren Jahren erzählte er nun dieſe Selbſtdemüthigung wieder mit dem vollen Stolze feines philoſophiſchen Bewußtſeins.) So haben wir hier denſelben Widerſpruch, der ſein Leben und Denken in allen Richtungen durchzieht.
Petrarca's grenzenloſe, untilgbare, gleichſam mit allen Faſern ſei⸗ nes. Geiſtes zuſammengewachſene Eitelkeit, ließe fie noch einen Zweifel zu, wir könnten fie durch eine Blüthenleſe aus feinen Werken und
) De remed. utr. fortunae Lib. I. dial. 117.
) Epist. rer. senil. XIII, 7. Petrarca ſcheint ſich dabei unmittelbar auf einen Ausſpruch zu beziehen, den er einſt ſelbſt in feinen Mannesjahren der Welt kund⸗ gethan. Er hatte in epist. metr. I, 7 geſungen:
Nil usquam invideo, nullum ferventius odi,
Nullum despicio nisi me, licet hactenus idem
Despicerem cunctos et me super astra levarem. Aehnlich in der epist. ad poster. (I. c.): Sensi superbiam in aliis, non in me, et cum parvus fuerim semper, minor judicio meo fui. — Eloquio, ut quidam di- xerunt, claro ac potenti, ut mihi visum est, fragili et obscuro.
) Epist. rer. senil. XV, 6.
72 | I. Petrarca's Ruhmesſehuſucht. N
ſeine eigenen Geſtändniſſe bis zur ſchreiendſten Evidenz darthun. Doch was fangen wir mit dem gewonnenen Reſultate an? Sollen wir dieſe Eitelkeit entſchuldigen und beſchönigen, wie die Literatoren Italiens zu thun pflegen, ſollen wir ſie mit Stacheln und Keulenſchlägen verfolgen, wie einer der neueſten deutſchen Beurtheiler gethan hat, ſollen wir uns mit dem Gemeinplatz tröſten, daß große Männer auch ihre Schwächen haben? Uns dünkt, die geſchichtliche Wiſſenſchaft ſoll vom Richterſtuhl herabſteigen, ſie ſoll, den Gang eines Ganzen im Auge haltend, ſich der alltäglichen und unſicheren Maaße der Moralität, der Abwägung von Tugenden und Laſtern begeben, ſie ſoll redlich nach dem Wie, dem Woher und Wohin der Erſcheinung forſchen. Dann tritt als der letzte Maaßſtab, den wir an eine weltgeſchichtliche Perſönlichkeit zu legen haben, ihre Stellung zu einem Größeren, ihre Auswirkung ins Ganze hervor. Und von dieſen Standpunct aus erhebt ſich Petrarca auch vor unſern Augen zu der großartigen Hoheit, in welcher N Zeitge⸗ noſſen ihn ſahen.
Seine Eitelkeit mit allen ihren lächerlichen Extravaganzen, was iſt ſie anders als eine krankhafte und verkümmerte Sehnſucht nach dem Ruhme? Dieſe Sehnſucht aber, vielleicht das edelſte und tiefſte Handlungsmotiv bei den Völkern der claſſiſchen Welt, der innerſte Puls⸗ ſchlag ihrer Geſchichte, auch fie iſt durch Petrarca aus dem Grabe er- weckt und als eine neue Triebfeder der modernen Welt zugeführt wor⸗ den. Das asketiſche Chriſtenthum hatte ſie verdammen müſſen; denn führt ſie gleich den Geiſt des Individuums über Tod und Aſche hin⸗ aus, ſo bleibt ſie doch am Dieſſeits haften und findet ihr Ziel unter den Menſchen, unter den Geiſtern der vorgeahnten Generationen. Erſt der Sinn für eigentliche Geſchichte, erſt die Erfahrung, daß der längſt verwehte Staub Verſtorbener ſich vor unſerm innern Auge wieder zur wandelnden Geſtalt zuſammenfügen und von unſerm Geiſte aus neubelebt werden kann, erſt die Anerkennung, daß Geiſtesgröße und Verdienſt in ihren Wirkungen auf Erden nicht hinſterben, daß ein Geſchlecht vom an⸗ dern zu lernen und ſeine hervorragenden Lehrer dafür mit dankbarem Au⸗ gedenken zu ehren hat, alſo erſt eine Ahnung von dem, was der Menſch als einzelnes Weſen für die unſterbliche Menſchheit fein kann — konnte das Idol des Ruhmes, der Unſterblichkeit des Namens wieder aufkommen laſſen. Es trat Petrarca aus der Römerwelt, zumal aus Cicero, den Geſchichtſchreibern und den Dichtern entgegen. Die alte Geſchichte über⸗ haupt erſchien ihm als eine Ruhmeshalle und diente zugleich zum deut⸗
I. Petrarca's Ruhmesſehuſucht. 73
lichen Beiſpiel, wie trotz der Ferne der Zeiten und gerade durch fie die Geſtalten immer leuchtender und heldenhafter werden. Jene Män⸗ ner, die ein mühevolles Leben und ſelbſt den Tod nicht geſcheut, um ihren Namen der Vergeſſenheit zu entreißen, ſie hatten es jetzt ja er⸗ reicht, und es war Petrarca's Stolz, in der Verkündung ihres Ruhmes ven ſeinigen zu ſuchen. Welch ein entzückender Gedanke, ihnen an die Seite zu treten und nach Jahrhunderten genannt zu werden wie ſie, wie berauſchend mußte er auf den wirken, der ihn zuerſt wieder hegte. Dante hat ihn vielleicht vorempfunden, aber Petrarca hat ihn ſelbſt⸗ ſtändig fortentwickelt und zur völligen Klarheit gebracht. Er iſt viel⸗ leicht die folgenreichſte Entdeckung, die er der Menſchheit hinterlaſſen. Darf es uns da wundern, wenn dieſe Idee ihn ſelbſt ganz und gar beherrſchte? Als Jüngling ließ ſie ihn nicht ruhen und nicht ſchlafen, umd noch als Greis mußte er trotz allen Einwendungen geſtehen, der mädtigfte Sporn für hochherzige Geiſter ſei die Liebe zum Ruhme.) Auf ſie führt er ſeinen Trieb zu den Wiſſenſchaften, ſein Haſchen nach der Wohlredenheit, fein unermüdliches Arbeiten und feine Nachtwachen zurück. Sie begeiſterte ihn zu ſeinen Werken, unter welchen er beſon⸗ ders von der "African erwartete, fie ſolle ein „ruhmvolles, ſeltenes und ausgezeichnetes Werk werden.) Seiner ganzen Lebens⸗ und Denk⸗ weiſe lag dieſe eine Leidenſchaft zu Grunde. Bald erglühte ſie in ihm wie eine heilige Flamme, bald ſtrömte ſie in den Flackerlichtern der Eitelkeit aus. Er nennt fie feine ſchwerſte Krankheit, die er nicht bändigen könne. Denn dieſer verzehrenden Sehnſucht, die wir immerhin als eine Infection des Heidenthums betrachten dürfen, widerſprach doch ſein chriſtliches Bewußtſein. Cicero hatte geſagt, gerade die Beſten würden am meiſten von der Begierde nach Ruhm geſtachelt; das Evan⸗ gelium aber weiß nichts von dieſem Motive guter Thaten. Darum jagt ſich Petrarca, er müſſe von dieſem eiteln Streben nach dem Ruhm lafſen und nach der Tugend felber ſtreben, da der Ruhm nur ein Schatten
) Epist. rer. senil. V, 6. Statt der unzähligen Belege, die wir in feinen Werken überall finden, nur zwei e aus den früheren Lebensaltern. Als Jüng⸗ ung fang er epist. metr. I, 1:
Implumem tepido praeceps me gloria nido Expulit et coelo jussit volitare remoto. Und bald nach ſeiner Dichterkrönung (epist. metr. II, 11): — — — — — — est mihi famae Immortalis honos et gloria meta laborum. ) De contemptu mundi Dial. III (Opp. p. 410).
74 I. Petrarea's Dichterkrönung⸗
der Tugend ſei, ein verlockender Sirenenklang, der aber deſte gefährlecher iſt und deſto energiſcher verdammt werden muß; ſein Bücherſchreiben ſei vom Uebel, ſein Studium müſſe ohne Ehrgeiz und ohne Aufſehen getrieben werden und nur der wahrhaften Erleuchtung gewidmet ſein.) So predigt er ſich ſelber und bisweilen glaubt er dieſes Ziel zu erreichen, den Feind aus dem Felde geſchlagen zu haben, aber deſto ſiegreicher iſt dieſer von der andern Seite wieder eingezogen. Sein großer Geiſtes freund, ver h. Auguſtinus, hatte daſſelbe in ſich erlebt und ausgeſprochen: „Oft rühmt ſich der Menſch, wie er den eitlen Ruhm verachte, aber er rühmt ſich deſto eitler. Darum darf er ſich der wirklichen Verachtung des eitlen Ruhmes ſchon nicht mehr rühmen; denn er verachtet ihn nicht, da er ſich innerlich rühmt.) Eben das war . . Krankheit.
Wir weiſen dieſes Schwanken zwiſchen einem brennenden Gefühle, welches der Philoſophie widerſtrebt, und der Philoſophie, welche vieſes Gefühl verdammt, an einem Beiſpiel nach. Die Ehren, die Petrarca von der Nachwelt im Tempel der Geſchichte erwartete, verlangte 6 ihn glühend, im Vorgeſchmack ſchon von der Mitwelt zu genießen Die Sehnſucht nach der Dichterkrönung hatte ihm manche fchlafinfe Nacht bereitet. Von Dante's Leichenkrönung wußte er nicht, nur dun⸗ kel ſchwebten feiner Phantaſie die Spiele und Wettkämpfe der Hellenen und der delphiſche Kranz vor, ſchimmernder noch der capitoliniſche Lor⸗ beer, der als höchſte irdiſche Ehre einſt das Haupt berühmter Cäſaren und heiliger Sänger geſchmückt. Der Welt wollte er ein Schaufpiel geben, welches ſie ſeit Jahrhunderten, ſeit Domitianus Zeiten nicht geſehen und welches ihn in dem vollen Glanze zeigte, den einſt die Beherrſcher der Welt mit dem Dichter getheilt. Wir zweifeln nicht, daß die Veranſtaltungen von ihm ausgingen. Er wußte den Köniz Robert von Neapel durch den befreundeten Dionigi de' Noberti, einen Auguſtiner aus dem tusciſchen Borgo San Sepolero, für feine Poeſien zu erwärmen und führte die Unterhandlung durch einen andern Freund an demſelben Hofe, mit welchem er zuſammen in Bologna die Rechte ſtudirt, Tommaſo Caloria von Meſſina. Wenn er gleichzeitig die pa⸗ riſer Hochſchule, deren Canzler Roberto de' Bardi ſein tusciſcher Lands⸗ mann war, zu demſelben Erbieten anzuregen ſuchte, ſo war es ihm
) ibid. p. 414. 397. Rer. N Lin III (Opp. * . 2) Confess. X, 38.
I. Petrurca's Dichterkrönung. 75
ſicher lein Ernſt damit und er wollte nur den neapolitaniſchen König
Lund den römifchen Senat durch die Drohung mit einem Nebenbuhler zu Eifer und Eile ſpornen. An einem Tage, es war der 23. Auguſt 1340, erhielt er beide Einladungen; ſie trafen ihn, wie wir oben ſahen, mitten in ſeinem philoſophiſchen Leben, während er denkend und dich⸗ tend durch Wald und Flur ſchweifte. Er that eine Zeit lang, als ſchwanke er zwiſchen Paris und Rom. Auf jener Seite ziehe ihn die Neuheit der Sache an und der Ruhm der großen Hochſchule; er ent⸗ ſchied ſich natürlich für das ehrwürdige Alterthum, für das „Haupt der Welt und die Königin der Städte“, für den geweihten Platz „über der Aſche der alten Sänger“, für das römiſche Capitol. Aber noch im Phlloſophenthale von Vaucluſe, wo er die erſehnte Botſchaft em⸗ pfangen, faßte ihn das nüchterne Gefühl ihrer Nichtigkeit. „Du fragſt: warum dieſes Mühen, dieſer Eifer, dieſe Sorge? ob mich der Lorbeer⸗ kranz gelehrter oder beſſer machen wird? Er wird mich vielleicht be⸗ rühmter machen und mehr noch dem Neide ausſetzen. Der Thron des Wiffens und der Tugend aber iſt der Geiſt, hier hauſen ſie, nicht gleich Vögeln in den belaubten Zweigen. Warum alſo dieſe Zurüſtung des Lorbeers? Du fragſt, was ich darauf antworten kann. Was meinſt vn wohl? Nichts als, wie der hebräiſche Weiſe ſagt: Vanitas vanita- tum et omnia vanitas. Aber fo find die Menſchen!“ ')
Die Dichterkrönung fand am Oſtertage 1341 ſtatt. Noch kurz vorher hatte Petrarca feierlich in Gegenwart der römiſchen Senatoren erklärt, er habe den Lorbeer nicht um des Ruhmes willen erſtrebt, ſon⸗ dern weit mehr, um andere zu ähnlichem Studieneifer zu entzünden. Dieſe Erklärung nahm man in ſein Dichterdiplom auf, welches „ge⸗ geben auf dem Capitol“ und durch eine goldene Bulle beglaubigt wurde.) Aber wie erfaßte ihn der Rauſch, als die Ceremonie vollzogen wurde und er den Jubel der ſchauluſtigen Menge hörte! Er fühlte ſein Haupt wie ein geheiligtes, Rom und das Capitol hörte er frohlocken über die erneuerte Ehre.) In einer Stunde rühmte er ſich freudig der ſelte⸗ nen Zier, die ihm allein zu Theil geworden, und fragte ſich doch, warum ihm ewig dieſer Lorbeer im Sinne liege, den doch nur das ge⸗ meine Volk wie einen Schauſpielſchmuck bewundere, ob er nicht beſſer
) Epistt. ad Thomam Messanensem (Opp. p. 1251. 1252).
) Opp. p. 1254. | | ) Petrarca Reberte Siciliae Regi (Opp. p. 1253).
76 I. Noch einmal Petrarca und Cola.
gethan hätte, durch Feld und Wald, unter Hütten und Landleuten zu wandeln, die von ſeinen Geſängen nichts wüßten, als das Capitol der königlichen Stadt zu beſteigen.)
Hier tritt uns noch einmal die Geſtalt Cola's des Voltstribunen entgegen, und was ſeiner gedenken läßt, ſind nicht nur die Scenen, die das Capitol wenige Jahre nach Petrarca's Dichterkrönung ſah. Wir deuteten ſchon oben darauf hin, wie eine faſt myſtiſche Verehrung des Alterthums beiden gemeinſam war und ſie auch in ihren äußeren Le⸗ bensgängen verknüpfte. Vermögen wir nun Vorgänge des innerſten Bu⸗ ſens, welche Petrarca's Feder oft nur gelegentlich und andeutend ver⸗ rieth, mit ſolchen in Vergleich zu ſtellen, die in einem handelnden Leben ſich kundthun, ſo werden wir noch ungleich mehr durch die geiſtige Ver⸗ wandtſchaft zwiſchen dem Philoſophen und dem Befreier Roms über⸗ raſcht.
Es fördert unſer Verſtändniß nicht wenig, daß Cola auch Schrift⸗ ſteller war und daß wir von ihm eine Reihe von Briefen beſitzen, von denen mehrere den Umfang kleiner Abhandlungen haben. In ihnen nun iſt er genau derſelbe Phantaſt wie in den Schauſpielen, deren Zeuge und Mitſpielender das Volk von Rom war. Cola's Schreib⸗ weiſe iſt aus verſchiedenen Elementen verworren gemiſcht. Die Form läßt oft den Notar noch deutlich erkennen, gleichwie mancher niedrige Zug in feinem Benehmen den Sohn der Wäfcherin zu verrathen ſcheint. Dann aber ſchwanken das alte Rom und das päpſtliche Rom, livianiſche und apokalyptiſche Geſpenſter auf das Wunderlichſte durcheinander. Das alte Rom erfüllt ihn mit einem unklaren Bilde von vergangener Größe und Hoheit. Das Bild einer glänzenden Zukunft und einer Heldenrolle, die er zu ſpielen berufen, iſt dagegen ſtark mit prophe⸗ tiſchen und apokalyptiſchen Phantaſien unterwoben. Eine Schaar von
) Epist. metr. II, 11:
Laurea, perrarum decus atque hoe tempore soli Speratum optatumque mihi — — — — — Cur redit in dubium totiens mea laurea ? numquid Non satis est meminisse semel? decuitne per urbes Ciroumferre nova viridantia tempora fronde, Testarique greges hominum, populique favorem Infami captare via? Laudarier olim
A paucis mihi propositum. Quid inertia vulgi Millia contulerint, quid murmura vana theatri ?
I. Petrarca und Cola. 77
widerſprechenden Begriffen — ein einiges freies Italien und Rom als Vorherrſcherin — Cäſarenthum und Volksherrſchaft — weltgebietendes Anſehen der Kirche und des Papſtes, aber auch des Volkstribunates und ſeiner ſelbſt — Freiheit im Namen des allgemeinen Friedens und der Gerechtigkeit, dabei aber Terrorismus und anmaßende Weltherrſchaft — republicaniſche Einfachheit und ſinnloſe Prunkſucht — ſentimentale Sym⸗ pathie für ſtilles, häusliches Menſchenglück und niedertretender, oft kindiſcher Stolz — kleinliche Willkür und freies Walten des heiligen Geiſtes — alle dieſe Vorſtellungen und Empfindungen liefen gleich Irr⸗ lichtern in ſeinem Hirne hin und her. Es war als wollte er die ganze Geſchichte Roms in allen ihren Phaſen noch einmal ſpielen laſſen und den Zuſtand des Paradiſes ſo wie den der Wiederkunft Chriſti hinzu⸗ fügen. Seine Perſon dachte er ſich ſtets obenan, aber wohin er ſie ſtellen ſollte, darüber hatte er ſehr mannigfache Vorſtellungen. Bezeich⸗ nend ſind die Beinamen, die er ſich öffentlich und feierlich zulegte und von deren Bedeutung er oft den unklarſten Begriff hatte. Er nannte ſich den Tribunen, ohne auch nur eine Ahnung von dem Amte eines altrömiſchen Volkstribunen zu haben; das Wort bezeichnete ihm nur eine republicaniſche Würde, die ihn an die Spitze der Stadt ſtellte, oder noch allgemeiner einen Anwalt der Freiheit und Gerechtigkeit. Was dachte er ſich wohl unter dem »tribuniciſchen Kranze“? Warum er ſich Auguſtus nannte, entſchuldigte er vor Papſt Clemens VI mit folgenden Gründen: weil der heilige Geiſt durch ihn in wenigen Tagen die römiſche Republik befreit, weil derſelbe ihn an den Calenden des Monats Auguſt zum Ritter gemacht, weil er das Ritterbad in der Wanne genommen, in welcher einſt der Kaiſer Conſtantinus getauft ſei.) Was aber wollte er mit dem Ausdrucke Tribunus Auguſtus? Ferner nannte er ſich Candidatus, worunter er ſich wohl nur einen weißgeklei⸗ deten Beamten vorſtellte. Dann weihte er ſich ſelbſt zum Ritter des heili⸗ gen Geiſtes. Andere Titel dienen nur zum Pomp, wie wenn er ſich „den Strengen und Gütigen, den Befreier der Stadt, den Schwärmer für Ita⸗ lien, den Freund des Erdkreiſes“ nannte und zwar fo, daß alle dieſe Bei-
1) Ceterum cum diffusa gratia Spiritus Sancti in paucorum dierum circulo sub meo regimine Rempublicam liberavit et auxit, et in Kalendis Augusti prae- fatis ad militiam mea humilitas est promota, michi Augusti nomen et titulus est attributus. Sein Brief an Clemens VI bei Papencordt, Cola di Rienzo, Urk. 6. p. X.
78 I. Petrarca und Cola.
namen ſtehende officielle Formel waren.) Denn gelegentlich giebt er ſich auch andre begeiſterte Prädicate und nennt ſich zum Beiſpiel „den Tribunen der Freiheit, des Friedens und der Gerechtigkeit, den herrlichen Befreier der heiligen römiſchen Republik.“) Wir ſehen, wie er gleich Petravca das Urtheil der Geſchichte anticipirt, wie eine grenzenloſe Eitelkeit ihn treibt, als politiſcher Heros fo großartig dazuſtehen wie Petraren als phi⸗ loſophiſcher. Lechzte dieſer nach dem Wahnbilde des capitoliniſchen Kran⸗ zes, ſo gelüſtete Cola nach dem tribuniciſchen. Er ließ ſich am 15. Auguſt 1347 ſechs Kronen auf einmal übertragen, vom Laube der Eiche, des Epheu, der Myrthe, der Olive, des Lorbeers und von vergoldetem Silber,“) unerfättlih in Pomp und Prunk, gleich Petrarca, wenn er das geſpen⸗ dete Lob gierig einſchlürfte und immer neues provoeirte. Und wie Petrarca die Weisheit der Erde und des Himmels in ſeiner Perſon zu vereinigen meinte, ſo finden wir auch in Cola neben der weltlichſten Herrſchſucht einen phantaſtiſch⸗ religiöſen Zug. Er führte den heiligen Geiſt unaufhörlich im Munde, wollte Alles zu Ehren der Apoſtel Pe⸗ trus und Paulus gethan haben, verlegte feine republicaniſchen Feier⸗ lichkeiten auf kirchliche Feſttage, betheuerte, daß er ein rechtgläubiger Chriſt und ein beſonderer Verehrer der glorreichen Gottesmutter fei. *) Wenn er das Scepter der Senatoren trug, ſo war auf dem Apfel deſſelben ein goldenes Kreuz mit einer Reliquie angebracht und im Wappen führte er ſowohl die Schlüſſel Petri wie das 8. P. Q. R. Für ſeinen Geſchmack lag in dieſer Miſchung nichts Bedenkliches, er ſagt: Wenn ich neue Namen und Titel annehme und mein Haupt mit verſchiedenen Laubkränzen ſchmücke, wenn ich die alten roͤmiſchen Amtsbezeichnungen und die alten Gebräuche erneuere, was ficht es den Glauben an?)
Das bewegende Princip aber war bei Cola wie bei Petrarea jene ſubjective Ruhmbegier, die ſich hier wie dort am Thatenglanze des
1) Candidatus, Spiritus Sancti Miles, Nicolaus Severus et Clemens, Libe- rator Urbis, Zelator Italiae, amator orbis et Tribunus Augustus. So im Briefe an Clemens VI. I. c. p. XI, in einer öffentlichen Verordnung ebend. Urk. 7. p. XIII. Vgl. Urk. 9. p. XIX. Wenn er Karl IV. einreden wollte (ebend. Urk. 13. p. XXXIV), den Beiſatz Severus habe er um des Boethius Severus willen angenommen, ſo iſt das doch wohl nur ein Einfall, mit dem er ſich augenblicklich rechtfertigen will.
) ebend. Urk. 1. p. I.
) ebend. Urk. 10. p. XX.
) ebend. Urk. 13. au Karl IV. p. XXIX.
) ebend. Urk. 11. p. XXII.
I. Petrarca und Cola. 79
Alterthums entzündet. Der Tribun fing mit Kleidung, Putz und Feſten an wie Petrarca mit der blumigen Eloquenz. In die einzelnen Artikel des Putzes und Pompes legte er gern allerlei ſymboliſche Geheimniſſe, gleichwie Petrarca es liebte, feine Gedichte und fein Leben durch ein Myſterium verhüllt erſcheinen zu laſſen. Wie dann Petrarca zur prak⸗ tifchen Philoſophie, fo ging Cola zum vollen Walten der Herrſchſucht über. Auch er hatte vielleicht ſchwärmeriſche Stunden, in denen er ſich einredete, nur um des gemeinen Beſten und um des Völkerglückes willen gehandelt zu haben. Dann ſchwebte ihm eine Staatsregierung vor, welche die Guten ſchirmt und die Böſen ſtraft, Allen gleiche Gerechtigkeit zu⸗ wiegt, vie Tyrannen niedertritt, den Armen hilft, den Wittwen und Waiſen beiſteht, die Kirchen und Klöſter ſchützt, die Liederlichen zur Kirche führt, Gattenzwiſt und Ehebruch verhütet und Aehnliches.) Wie ſehr entſpricht dieſes politiſche Utopien dem moraliſchen Petrarca's, ſeinen Begriffen von Tugend und Lebensphiloſophie! Aber auch bei Cola drängt ſich durch dieſe Traumwolken immer das Bild ſeiner Per⸗ ſönlichkeit: er wiegt ſich in der ſchmeichelnden Vorſtellung, wie die Römer und die Italiener überhaupt ihn lieben und anſtaunen, er verkündet ſelbſt die Unſterblichkeit ſeines Namens und ihm iſt, als wenn die Gro⸗ ßen der Welt nicht ſowohl ſeine Republik als vielmehr neidiſch ſeinen unendlichen Ruhm verfolgen,) ganz wie Petrarca in jedem Gegner der Poeſie ſeinen perſönlichen Neider ſieht. Wir bemerkten, wie Pe⸗ warca bei feiner Dichterkrönung die perſönlichen Motive gern ableugnen und vorſpiegeln wollte, als glaube er nur der Poeſie dieſe Ehre ſchul⸗ dig zu ſein. Desgleichen Cola: „Wenn ich mich zum Ritter weihen und mit dem tribuniciſchen Kranze krönen ließ, Gott ſei mein Zeuge, daß ich den Ritternamen nicht um des eitlen Ruhmes willen annahm — weiß ich doch nicht, wie lange ich noch lebe, da das menſchliche Leben zwiſchen Morgen und Abend vergeht — ſondern es geſchah nur zur Ehre des tribuniciſchen Amtes und des heiligen Geiſtes, nach deſſen Willen und deſſen Namen mein Ritterdienſt bezeichnet iſt.“ “) Dennoch, als er feiner Macht beraubt, demüthig von Karl IV Schutz und Hülfe
1) ebend. Urk. 11. p. XX und Urk. 13. p. XXXVI. ö
) Vergl. ebend. Urk. 12. p. XXVI. Urk. 13. p. XXXV: quanquam multi preeminentes in mundo illam (famam mei nominis gloriosam) extinguere sitiant ob invidiam et timorem, ne videlicet nomen meum gratum in Italia atque cla- rum nomen eorum obscurum faciat et neglectum.
) Ebend. Url. 11. p. XXII.
80 I. Petrarca und Cola.
erflehte, geſtand er auch feinen Stolz und Uebermuth, die Eitelkeit und den ehrſüchtigen Pomp, zu dem er ſich in den Tagen ſeines Glückes verführen laſſen,) und endlich ging er in feiner Haltungsloſigkeit genan ſo weit wie Petrarca, indem er ſich nämlich dieſer Demuth und der freiwilligen Entäußerung dieſer Ruhmesliebe zu rühmen begann.)
So ſind Petrarca und Cola Kinder einer Zeit und derſelben Idee. Man darf den einen nicht anſtaunen und über den andern mitleidig die Achſel zucken. Der Tribun verrieth durch ſeine lächerliche Prunk⸗ ſucht den faulen Fleck ſeines Herzens, und er hatte es mit dem erbärm⸗ lichen Römervolke zu thun; ſeine Handlungen traten nach außen und man ſah ihre Folgen. Petrarca bedurfte zu dem Geiſterkampfe, den er führte, nur ſeiner ſelbſt und der Helden und Denker des ehrwürdi⸗ gen Alterthums. Er blieb als eine geheimnißvolle hohe Perſönlichkeit daſtehen; denn wer war im Stande ihm Herz und Nieren zu prüfen? Und in der That ging er als ſtrebender Menſch ſeine großartige Bahn weiter, nachdem der Römer ſeinen ehrgeizigen Traum mit dem Fluche der Lächerlichkeit und mit dem Tode gebüßt.
Nichts durchdringt und bezeichnet das chriſtliche Mittelalter — die Jahrhunderte vor Petrarca mögen hier einmal darunter verſtanden wer⸗ den — ſo entſchieden als der corporative Zug. Nach dem Chaos der Völkerwanderung kryſtalliſirte ſich gleichſam die erneuerte Menſchheit in Gruppen, Ordnungen, Syſteme. Hierarchie und Feuvalismus waren nur die größten Formationen. Selbſt das wiſſenſchaftliche und künſt⸗ leriſche Leben, welches doch nur einen ſehr kleinen Theil der Bevölle⸗ rungen beſchäftigte und ſich minder leicht in eine gemeinſame Nichtung drängen läßt, fügte ſich doch dem allgemeinen Hange: es ſchoß wie gefrierendes Waſſer nach gewiſſen Mittelpuncten zuſammen und von dieſen gingen dann die Strahlen wieder nach allen Seiten aus. Zu keiner Zeit haben ſolche Maſſen von Menſchen ſo gleich gelebt und
) Ebend. Urk. 12. p. XXVI.
2) Er ſchrieb an den Erzbiſchof von Prag (ebend. Urk. 20. p. LXW): Nullus est enim hominum, qui tantum (sibi) in pompe et vane glorie presumptione doetra- xerit, quantum ego meis accusationibus michi ipsi, nee plura de sumptis ho- noribus et operibus virtuosis, quam de hujusmodi meis delictis, scripture mee undique jam redundant.
I. Petrarca als Individualmenſch. 81
gehandelt, ja gedacht und empfunden. Wenn großartige Menſchen her⸗ vorragen, ſo erſcheinen ſie nur als Repräſentanten des Syſtems, in deſſen Mitte ſie ſtehen, nur als die Erſten unter ihresgleichen, ganz ſo wie die Häupter des Lehnsſtaates und der Kirche. Ihre Größe und Macht hängt nicht von den Zufälligkeiten und Eigenheiten ihrer Perſon, ſondern davon ab, daß ſie mit Energie den ideellen Kern ihres Sy⸗ ſtems vertreten und ſich ſelber dabei aufopfernd verleugnen. Aus ſolchem Zuſammenſtehen und Zuſammenwirken entſpringen natürlich auch groß⸗ artige Erfolge, erhebende Thaten; denn jeder ſieht daſſelbe Ziel und die Kräfte zerſplittern ſich nicht. Die Vorkämpfer der Menſchheit ſind nicht Individuen, welche die Maſſe geiſtig beherrſchen, ſondern Stände und Körperſchaften, die dem Individuum nur wie einer Standarte folgen. |
Wer iſt nun der gewaltige Menſch, der dieſen Bann der Corpo⸗ ration durchbricht, der ſeiner Mitwelt nichts zu danken ſcheint, der im Umgange mit längſt Verſtorbenen und mit ſich ſelbſt Alles geworden iſt, was er iſt, der ſein Ich zum Spiegel der Welt zu erheben und für ſeine Individualität das Staunen der Mitwelt und den Ruhm der Nachwelt zu fordern wagt? Wir nehmen keinen Anſtand, Petrarca in dieſem Sinne den Propheten der neuen Zeit, den Ahnherrn der moder⸗ nen Welt zu neunen. Die Individualität und ihr Recht treten in ihm zum erſten Male kühn und frei mit dem Anſpruch auf hohe Bedeutung hervor. Wohl liegt auch ſchon in Dante, wenn er finſter und einfam. durch das Leben ſchritt, dieſes Element verborgen, aber es bricht nur. ſelten und unklar durch feine methodiſche und disciplinirte Anſchauung. Petrarca ſtellt es dagegen in der beweglichſten Mannigfaltigkeit und bis zu den Extremen dar. Selbſt ſeine ungemeſſene Ruhmſucht und ſeine Heinlichen Eitelkeiten gehören als ſehr weſentliche Beſtandtheile dazu. Was er lieſt und lernt, was er thut und erlebt, Alles bezieht er auf ſeine Perſon, die ganze Außenwelt dient ihm nur zum Stoffe ſeiner perſönlichen Bildung. Wie anders lernte er aus Büchern! Nicht nur ſein Gedächtniß eignet ſich Kenntniſſe an, nicht nur ſein Verſtand übt ſich im Scheiden und Urtheilen, ſein ganzes Selbſt tritt in Verkehr mit den großen Männern, die vor ihm gelebt. Er ſpürt in Cicero's und Auguſtinus Büchern ſolchen Empfindungen nach, die denen des eigenen Buſens gleichen; er ſucht in den Büchern den Menſchen.
Petrarca bat. für die claſſiſchen Wiſſenſchaften viel geleiſtet, er hat zum Sturze des Scholaſticismus die mächtigſte Anregung gegeben,
Voigt, Humanismus. N 6
982 Petrarca als Individualmenſch.
aber bei weitem feine größte, mühevollſte und vervienſtlichſte Lennunz war fein Selbſt. An ſich und für ſich zu arbeiten, erklärt er oft für ſeinen höchſten Lebensberuf, aber es iſt nicht das Abmühen des ehrlichen Kloſterbruders, der um fein Seelenheil bekümmert ſich mit ſemen ſpar⸗ ſamen Begriffen von Fleiſch und Geiſt herumplagt, der, wenn er die Sinnenluſt erdrückt und feine Frömmigkeit in regelmäßigen Gang ge bracht hat, mit dieſer Anwartſchaft auf den Himmel ſich zufrieden giebt, es iſt in Petrarca das ruheloſe Drängen und Pochen tiefgreiſender Widerſprüche, das gewaltige Ringen verſchiedener Bilvungselemente zur Einheit, welches eben den modernen Individual⸗Menſchen ankündigt.
Das war der innerſte und mächtigſte Zauber, welcher die Vereh⸗ rung der Zeitgenoſſen an dieſen Menſchen wie an einen geheimnißvollen Propheten feſſelte, und überlegen wir, wie dieſer Zauber auf fein Selbſtbewußtſein zurückwirken mußte, ſo erſcheinen Stolz, Ruhmſucht und Eitelkeit kaum mehr als Flecken des Charakters, ſondern als die natürlichen Eonfequenzen eines Selbſtgefühls, welches ſchrankenlos fein mußte, weil es niemand auf Erden über oder neben ſich ſah, ſich alfe mit niemand vergleichen und keinen Richter anerkennen konnte. Zwar hat, gleich dem Entdecker der neuen Welt jenſeits des Oceanus, der bes kanntlich ohne die Ahnung geſtorben iſt, daß er eben eine neue Welt entdeckt, fo auch Petrarca die neue Zeit nicht geahnt, die mit ihm an- bricht; beide glaubten nur dem Alten auf einem neuen Wege beigekom⸗ men zu ſein. Doch fühlte Petrarca ein Etwas in ſich, mit dem er allein unter den Meuſchen, allein ſeinem Gotte gegenüber und weit entrückt dem Seelenleben der Maſſe baftand.
Indem wir nun daran gehen, das Tiefſte und Dunlelſte, was in Petrarca's Seele vorging, nachzuweiſen, müſſen wir es freilich dem Leſer überlaſſen, ob er die oben ausgeſprochenen Reſultate daraus ſol⸗ gern will. Darum laſſen wir die Geſtändniſſe und Aussprüche Pe⸗ trarca's moͤglichſt für ſich reden oder trennen doch merkbar ab, was wir hinzufügen.
Petrarca erzählt uns eine n die etwa in ſein 32. gebensjahr fällt. Nur von feinem jüngeren Bruder Gerardo begleitet, beſtieg er einſt den Mont⸗ Ventoux. Das mühſame Berganſteigen erweckte in ihm die Betrachtung, wie man durch eine willensſtarke Aneignung von Ti genden zum ſeligen Leben emporſteige. Er erreichte den Gipfel und ſah die Wolken zu ſeinen Füßen ſich thürmen. Hier ging ſein Lebens⸗ lauf an ihm vorüber. Vor zehn Jahren hatte er die Hochſchule von
I. Perrarca is Jubiwibnalmeuſch. 88
Bologna verliefen und ſich ohne Hemmung der Poeſie und Eloquenz hingegeben. Seit noch nicht drei Jahren hatte in ſeiner Seele der Kampf begonnen, in welchem ſich der geiſtige Menſch gegen den fleiſch⸗ lichen auftehnte, der bis dahin ohne Widerſpruch in ihm geherrſcht. Er dachte vorwärts, wie weit dieſer Kampf nach zehn Jahren in ihm gediehen fein würde. Dabei war fein Ange auf das Schaufpiel um ihn her gerichtet: hier der breite Zug der Sevennen, dort der Golf von Lyon, tief unter ihm der majeſtätiſche Rhone. Die Sonne neigte ſich bereits, er war ſo gut wie allein. Seine Seele fühlte das Be⸗ dürfuiß der Erhebung, er beſchloß, in den Confeſſionen des Auguſtinus, die er in einem kleinen Bande mit ſich führte, die erſte befte Stelle aufzuſchlagen und als einen Wink von oben zu nehmen. Er